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Politik: Die verschwundene Aussage

Wie es Anfang der 80er Jahre zur Vernehmung der RAF-Terroristin Verena Becker kam

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Berlin - Es war eine eigene Abteilung, mit der Ziffer VII, die das Bundesamt für Verfassungsschutz im Kampf gegen die Rote Armee Fraktion aufbot. Mit allen Mitteln und Methoden, die dem Nachrichtendienst zur Verfügung standen, sollte die Terrorbewegung durchleuchtet und aufgebrochen werden. Dazu gehörte auch der Versuch, das Gespräch mit inhaftierten RAF-Mitgliedern zu suchen. „Das Bundesamt, aber auch Landesbehörden für Verfassungsschutz haben alles Mögliche unternommen, um mit den Häftlingen Kontakt aufzunehmen“, sagt ein erfahrener Sicherheitsexperte. Denn es sei den Verfassungsschützern bewusst gewesen, „dass man eine Übersicht nur über einen Teil der Kommandoebene der RAF hatte“. Und der Experte deutet an, dass es nur zu logisch war, mit der seit 1977 inhaftierten Verena Becker zu reden, als sie Anfang der 80er Jahre signalisierte, gesprächsbereit zu sein.

Becker war es, bei deren Festnahme Anfang Mai 1977 die Tatwaffe des Buback-Mordes gefunden worden war. Sie, im Dezember des gleichen Jahres wegen Mordversuchs an zwei Polizisten zu lebenslanger Haft verurteilt, galt als infrage kommende RAF-Kämpferin, die das Tat-Motorrad nach Karlsruhe gebracht haben könnte. Dass die in Köln- Ossendorf einsitzende Becker von sich aus den Kontakt zum Verfassungsschutz gesucht haben muss, ist nach der Logik der damaligen Zeit mit großer Sicherheit anzunehmen. RAF-Kommandomitglieder lehnten üblicherweise jegliche Zusammenarbeit mit dem Staat ab.

Nach Tagesspiegel-Informationen soll Becker unter dem Vorwand, lungenkrank zu sein, aus Köln-Ossendorf nach Kassel verlegt worden sein – um andere in Köln einsitzende RAF-Leute nicht misstrauisch zu machen. Von Kassel brachten Verfassungsschützer die auskunftsbereite Frau in eine konspirative Wohnung in Köln, wo sie etwa zwei Wochen vernommen worden sei. Becker soll unter den Haftbedingungen extrem gelitten haben und sich von der Zusammenarbeit eine vorzeitige Haftentlassung versprochen haben. Dass sich ihre Aussage von damals nun mit der des ehemaligen RAF-Mitglieds Peter-Jürgen Boock deckt, hat womöglich einen handfesten Grund. Becker wollte nach Tagesspiegel-Informationen gegenüber dem Verfassungsschutz ihre Zusammenarbeit signalisieren, dabei aber nur Kenntnisse preisgeben, von denen sie dachte, Boock habe sie seinerzeit bereits verraten.

Wie das Bundesamt für Verfassungsschutz mit Beckers Angaben umging, bleibt offen. Es habe damals, mehr als heute, eine „Kultur der doppelten Aktenführung“ gegeben, sagt ein Sicherheitsexperte. Informationen wurden unter der Hand, manchmal nur mündlich, von einer Behörde an eine andere weitergegeben. Die Erkenntnisse tauchten nie in offiziellen Unterlagen eines Ermittlungsverfahrens auf, die allen Beteiligten eines Prozesses zugänglich gemacht werden müssen. Das heißt für den konkreten Fall: Möglicherweise fuhr ein Vertreter des Bundesamtes für Verfassungsschutz nach Karlsruhe und informierte die Bundesanwaltschaft über die Gespräche mit Becker. Vielleicht wurden auch das Bundesinnenministerium, das Bundeskanzleramt und das Bundeskriminalamt in aller Stille unterrichtet.

Dass der Verfassungsschutz Mitwisser haben musste, sobald er mit inhaftierten Terroristen sprach, ist unvermeidlich: Ohne die Zustimmung der Leitung einer Justizvollzugsanstalt haben auch Verfassungsschützer keinen Zutritt.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble verlangt nun vom Bundesamt für Verfassungsschutz eine umfassende Aufklärung. Aber auch das Bundeskriminalamt soll sich äußern – zu einem weiteren fraglichen Detail. Angeblich erfuhr das BKA im Jahr 1990 von der einstigen RAF-Terroristin Silke Maier-Witt, der als einer der Buback-Attentäter verurteilte Knut Folkerts sei am Tag des Mordes nicht in Karlsruhe, sondern in Holland gewesen. Sah das BKA also zu, wie Folkerts 1980 lebenslänglich erhielt und damit womöglich zu hart bestraft wurde?

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