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Politik: Die Vertreibung des Präsidenten

In Georgien erklärt Schewardnadse dem Parlament gerade seine Pläne, als die Opposition den Saal stürmt

Monoton schallt die Stimme von Eduard Schewardnadse, dem Präsidenten von Georgien, durch den halbleeren Parlamentssaal. Draußen skandiert die Menge: Zehntausende von Demonstranten in der georgischen Hauptstadt Tiflis haben die Oppositionellen aus ganz Georgien zusammengetrommelt. Sie sind in die Hauptstadt gekommen, um gegen die Wahlen vom 2. November zu protestieren, die massiv gefälscht worden sein sollen.

Schon seit Tagen demonstrieren zehntausende von Georgiern in der Hauptstadt gegen die Wahlfälschungen in dem Land. Erst am Donnerstag hatte die zentrale Wahlkommission das endgültige Wahlergebnis verkündet, demzufolge der Parteienblock um den bis zum Jahre 2005 amtierenden Präsidenten der Gewinner wäre. Mehrere Oppositionelle hatten sich daraufhin in den letzten Tagen verbündet und beschlossen, das neue Parlament zu boykottieren.

Es ist Samstag, kurz nach 17 Uhr Ortszeit. Heute kommt das Parlament zum ersten Mal zusammen – es sind aber keine Mitglieder der gewählten Opposition dabei. Sie boykottieren die Sitzung, indem sie auf der Straße demonstrieren. Derweil redet der Präsident drinnen so, als sei dies eine ganz normale feierliche Sitzung. Er spricht von den Erfolgen seiner Regierung und von der guten Zusammenarbeit des neuen Parlaments, dem das georgische Volk vertraue. „Verschwinde!“, skandiert das georgische Volk vor der Tür in diesen Minuten. „Es reicht!“

„Der Präsident soll zurücktreten“, schreit Michail Saakaschwili draußen im Dunkeln inmitten der protestierenden Menge. Er ist der Führer der stärksten georgischen Oppositionspartei, der „Nationalen Bewegung“. Direkt daneben, hinter einer künstlichen Grenze von Bussen, stehen tausende von Demonstranten, die im Auftrage des Lokalfürsten der georgischen Region Adscharien, Aslan Abaschidse, für den 75-jährigen Präsidenten protesieren sollen.

Schewardnadse nuschelt noch immer im Parlament vor sich hin. Doch gerade als er dem halbleeren Saal mitteilen will, welche Pläne er hegt, öffnet sich die hohe Tür des stalinistischen Baus – und die Oppositionellen stürmen, angeführt von Saakaschwili, hinein. „Wie können Sie so eine Veranstaltung abhalten ohne uns?“, brüllt Saakaschwili, während einige Männer aus dem Parlament vergeblich versuchen, die Eindringlinge mit Gewalt wieder hinauszuschmeißen.

Während der Präsident weiterspricht, beginnt ein Geschiebe und Gedränge, wenige Minuten später aber öffnet sich doch die Tür unter dem Druck der Menge hinter Saakaschwili. Mehrere Männer der Opposition im Gefolge von Demonstranten stürmen den Saal. Einige Worte noch spricht der Präsident, dann verlässt er gestützt auf seine Leibwachen den Raum und flieht. Saakaschwili beschwört währenddessen die aufgebrachten Eindringlinge, die Worte der Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse abzuwarten, die ebenfalls zur Opposition gehört und kurz darauf den Saal betritt. Es gelingt ihr, die Demonstranten aus dem Saal zu schicken. Die Parlamentssitzung ist gesprengt.

Auf dem Rustaweli-Prospekt direkt vor dem Parlamentsgebäude herrscht kurz darauf Jubelstimmung, die Menschen schwenken Fahnen und singen aus Freude über den friedlichen Sturm auf das Parlament. Sämtliche Demonstranten, auch jene, die aus Adscharien zur Unterstützung Schewardnadses gekommen sind, haben sich vereinigt.

Um kurz nach 19 Uhr spricht der Präsident vor einigen Journalisten: „Diese Menschen sind zu allem fähig.“ Und er kündigt an, den Ausnahmezustand auszurufen. „Die Verbrecher werden wir bestrafen.“

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