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Politik: Die Vieh-Katastrophe: "Eine unglaubliche Überförderung"

Friedrich W. Graefe zu Baringdorf (58), Vorsitzender des EU-Agrarausschusses, will die "ostdeutsche Landwirtschaft nicht platt machen".

Friedrich W. Graefe zu Baringdorf (58), Vorsitzender des EU-Agrarausschusses, will die "ostdeutsche Landwirtschaft nicht platt machen". Deshalb schlägt er vor, Subventionen künftig an Arbeitskraft zu binden.

EU-Agrarkommissar Franz Fischler hat vorgeschlagen, in Zukunft nur noch für 90 Bullen pro Hof und Jahr Subventionen auszuzahlen. Das hat in Ostdeutschland Empörung ausgelöst. Wie wollen Sie verhindern, dass die 90-Bullen-Grenze für viele ostdeutsche Höfe das Aus bedeutet?

Die Kopplung der Subventionen an die Arbeitskraft soll in der gesamten Europäischen Union gelten. Der Vorschlag wird im Agrarrat, der Anfang kommender Woche tagt, diskutiert. Er ist dort Teil eines Verhandlungspakets mit insgesamt fünf Punkten. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit, die 90-Bullen-Grenze herauszuknacken, nicht sehr groß. EU-Agrarkommissar Fischler hat uns signalisiert, dass er sich auf unseren Vorschlag einlassen könnte. Das heißt: Die 90-Bullen-Grenze gilt. Aber die Betriebe können einen Teil ihrer Arbeitskosten geltend machen. Damit würde die Auseinandersetzung zwischen Groß und Klein, die in Deutschland zu einem Ost-West-Konflikt stilisiert wird, entschärft. Es geht nicht darum, die ostdeutsche Landwirtschaft zu benachteiligen.

Sondern?

Wenn man die Subventionen auf die Arbeitskräfte umrechnet, dann liegen die großen Bullenmastbetriebe unabhängig von Ost oder West bei circa 160 000 Mark Prämien je Arbeitskraft. Ein Beispiel: Ein Spitzen-Großbetrieb mit 30 Beschäftigten und 11 000 prämienberechtigten Bullen kommt auf jährliche Prämien von rund 5,2 Millionen Mark. Seine Lohnkosten liegen aber lediglich bei rund 2,4 Millionen Mark. Hier findet eine unglaubliche Überförderung statt. Das ist eine klassische Fehlsteuerung in die Massentierhaltung.

Wie wollen Sie das ändern?

Unser Vorschlag geht dahin, zu den vorgeschlagenen jährlich gezahlten Prämien - also für 90 Bullen pro Betrieb - die Hälfte der Lohnkosten des Hofes dazuzurechnen. Das Ergebnis wäre, dass ein solcher Großbetrieb noch immer jährliche Prämien in etwa der Höhe seiner Lohnkosten bezöge.

Haben die Großbetriebe nicht ohnehin eine Struktur, die ihnen ein Überleben auch ohne große Subventionen ermöglichen sollte?

Wir haben bei unserem Vorschlag berücksichtigt, dass Großbetriebe natürlich Rationalisierungsgewinne haben. Deshalb ist die Idee, die Prämien an die Arbeit zu binden, indirekt auch eine ökologische Ausrichtung. Betriebe, die ihre Tiere artgerecht halten, die ökologisch wirtschaften und ihre Rinder auf die Weide treiben, brauchen dafür mehr Arbeitskraft als Betriebe, die Bullen ganzjährig im Stall halten. Deswegen ist die Bemessung an den tatsächlich gezahlten, sozialversicherungspflichtigen Lohnkosten auch eine Abwendung von der Schnellmast.

Können Sie denn für Ihren Vorschlag mit der Unterstützung der deutschen Landwirtschaftsministerin und der Ihrer Parteifreundin Renate Künast rechnen?

Unser Vorschlag wird nicht nur im Agrarrat, sondern parallel auch im Agrarausschuss und schließlich im Europaparlament behandelt. Ich gehe davon aus, dass er mehrheitsfähig ist. Schon in der Agenda 2000 war vorgesehen, dass die Mitgliedsstaaten immerhin 20 Prozent sämtlicher Prämien an die Arbeit binden können. Deutschland tut das allerdings bisher nicht. Aber der Grundgedanke ist nicht neu und hat deshalb gute Realisierungschancen.

EU-Agrarkommissar Franz Fischler hat vorgeschlagen

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