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Politik: Die Vision im Wohnzimmer

CEBIT 2004

Von Maurice Shahd

Die Technologiemesse Cebit ist wie das Fenster eines verwunschenen Hauses. Man sieht hindurch und bekommt einen Einblick in die Zukunft, in die Welt der Technik von morgen. Oder wenigstens in das, was Visionäre für die Welt von morgen halten.

In den letzten beiden Jahren erschien ein düsteres Bild hinter dem Fenster. Auf der Cebit waren desillusionierte Firmen oder auch nur noch die Reste überschuldeter oder zusammengebrochener Unternehmen zu besichtigen. Es gab Technik wie UMTS, die nicht funktionieren wollte, und tausende gut qualifizierter Arbeitsloser auf Stellensuche. Nur ein Jahr zuvor war auf der Cebit noch das Internetzeitalter gefeiert worden. Auf rauschenden Partys träumten junge Internetmanager davon, die alte Wirtschaft auf den Kopf zu stellen, ein Wirtschaftswachstum ohne Krisen zu garantieren und selbst steinreich zu werden. Bundeskanzler Gerhard Schröder machte große Politik, die das Land und seine Gesellschaft verändern sollte: Als er im Jahr 2000 auf der Cebit seine Green-Card-Initiative startete, war Deutschland auf einmal über Nacht zum Zuwanderungsland erklärt worden. Die Cebit war alles, was den Standort Deutschland attraktiv, modern und sexy machte.

Und heute? Die Greencard-Inder sind nicht gekommen. Und die technischen Neuheiten, die es in diesem Jahr auf der Cebit zu sehen gibt, sind auch nicht spektakulär. Es gibt mobile Internetdienste, es gibt neue Handys, und wieder einmal werden die Bildschirme flacher, die Computer leichter und die Kameras kleiner. Innovationen und Visionen? Fehlanzeige. Die Cebit schillert nicht mehr, sie glänzt nicht mehr, sie schwindelt und sie trauert nicht mehr. Nachdem die Visionen und Depressionen weggewischt worden sind, ist der Blick frei für die Veränderungen, die Mobiltelefon und Internet, Laptop und Digitalkamera in den vergangenen Jahren in unser Leben gebracht haben.

Kaum eine Innovation der jüngsten Zeit hat die Gesellschaft so verändert wie das Mobiltelefon. Seit wir jederzeit und an jedem Ort erreichbar sind, verlieren feste Verabredungen genauso an Bedeutung wie vereinbarte Treffpunkte oder fade Entschuldigungen bei geplatzten Terminen. „Ich melde mich, wenn ich aus dem Kino komme“, ist ein typischer Satz unserer Zeit. Je jünger die HandyNutzer sind, desto selbstverständlicher ist der Bruch mit bisher gültigen Konventionen, desto unbefangener und optimistischer die Integration der Technik in das Alltagsleben: Etwa zehn Anrufe bekommt ein 14- bis 29-Jähriger durchschnittlich pro Tag, dazu kommen ungezählte SMS-Botschaften. Die Eltern stöhnen über die Rechnungen – und zahlen dann doch meist murrend, weil ihr Nachwuchs mit dem Handy auch für sie jederzeit erreichbar ist.

Eine gute Nachricht? Doch, ja. Denn selten sind technische Neuerungen so schnell selbstverständlich geworden wie Handy und Internet. Einmal am Tag seine E-Mails zu lesen, gehört heute genauso zum Tagesablauf wie früher das Warten auf die Post oder der Gang zum Briefkasten. Überweisungen erledigen viele online, statt zur nächsten Bankfiliale zu laufen. Flüge buchen viele am Computer, statt das Reisebüro zu bemühen. Und den Hausrat verscherbeln sie bei Ebay, statt zum Flohmarkt zu gehen.

Auf dem Höhepunkt der Interneteuphorie vor einigen Jahren dachte man, das neue Medium wird unser Leben auf einen Schlag verändern. Das ist nicht passiert, Gott sei Dank. Erfolgreich ist das Internet vor allem dort, wo es gelungen ist, das Leben einfacher zu machen. Dort, wo die Benutzer daran glauben, dass auf der anderen Seite ein vertrauenswürdiger Partner sitzt. Und dort, wo das Internet in den letzten Jahren Fortschritte bei der Benutzerfreundlichkeit gemacht hat.

Kundenfreundlich und wohnzimmertauglich soll die Technik werden. Das versprechen die Hersteller zur Cebit in diesem Jahr. Statt sich in das nächste große Abenteuer zu stürzen, wollen sie die vorhandene Technik einfacher machen. Das hört sich nicht mehr nach einem verwunschenen Haus an, und ob sie durchs Fenster blicken wollen, werden sich viele gründlich überlegen. Zu Unrecht: Denn so nah an den Bedürfnissen der Menschen wie in diesem Jahr war die Cebit noch nie. Da lassen sich die fehlenden Visionen leicht verschmerzen.

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