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Politik: Die Waffen der Mädchen

Von Peter Dinkloh Als Sonja nach der Schule im leichten Nieselregen nach Hause laufen will, wird sie von Sabine aufgehalten. „Du hast über mich gesagt, ich sei eine Hure“, behauptet Sabine.

Von Peter Dinkloh

Als Sonja nach der Schule im leichten Nieselregen nach Hause laufen will, wird sie von Sabine aufgehalten. „Du hast über mich gesagt, ich sei eine Hure“, behauptet Sabine. „Das stimmt überhaupt nicht“, empört sich Sonja. „Du spinnst wohl“, schreit Sabine, „Nachher komme ich mit meinen Freundinnen und haue Dir eine aufs Maul“. Sonja hat Angst, denn die Gang von Sabine ist berüchtigt und es wäre nicht das erste Mal, wenn sie ihre Drohung wahr machte.

Körperliche Gewalt unter Mädchen – nach der Beobachtung des Schulpsychologen der Stadt Oberhausen, Karl Landscheidt, hat sie in den letzten Jahren zugenommen. Um sie zu verhindern, gibt es in der Stadt Aachen nun seit mittlerweile zwei Jahren ein Schlichtungsprojekt, in dem sich insbesondere ehemalige Krawallmacherinnen oft als die engagiertesten Vermittler hervortun.

Für das Projekt „Mädchen machen Mut“melden sich jedes Jahr rund ein Dutzend Streitschlichterinnen freiwillig. Unter der Leitung der Sozialarbeiterin Martina Augardt diskutieren sie über Mädchenkonflikte, was sie vom Leben erwarten und üben die Methoden des Schlichtungsgesprächs ein.

„Das Wichtigste ist, den Streitenden klar zu machen, dass wir unparteiisch sind“, erklärt Schlichterin Meryem (15). Um zu klären, wo der Konflikt liegt, wenden die Schlichterinnen ein klar definiertes Verfahren an. Zuerst erzählen die Kontrahentinnen nacheinander ihre Version der Streits. Die Zuhörerin darf nicht widersprechen, lediglich nachfragen.

Danach geht es an die Problemlösung. Dazu schreibt jede Partei auf, was sie von der Gegenseite erwartet – und was sie selber zu tun bereit ist, um den Streit zu beenden. Die Schlichterin achtet darauf, dass ein für beide Seiten annehmbarer Ausweg dabei heraus kommt. Entscheidend für den Erfolg ist, dass die Streitenden möglichst kurzfristig zusammen gebracht werden. „Nur wenn die Täterin direkt mit den Opfer konfrontiert wird, kann sie einschätzen, was sie angerichtet hat und lernen, ihre Widersacherin als Mensch wahrzunehmen“, erklärt Schulleiter Norbert Kroll die Strategie.

Wirkungsvolle Methoden, um körperliche Gewalt einzudämmen, sind insbesondere in westlichen Ländern sehr wichtig. „Man weiß, das in den Industrieländern Gewalttaten in den letzten 50 Jahren kontinuierlich zugenommen haben“, sagt der Psychologe Landscheidt. Wie aggressiv Mädchen sind, ist zwar schwierig zu messen, in Studien wurde aber ein Anstieg der Gewalttätigkeiten von bis zu 20 Prozent festgestellt. Dabei ist körperliche Gewalt unter Mädchen wesentlich seltener als unter Jungen. So kommt im Gefängnis eine Frau auf neun Männer, die wegen Körperverletzung verurteilt worden sind. „Je aggressiver die Gewalt, desto weniger sind Mädchen beteiligt. Diese neigen eher zu versteckteren Formen der Aggressivität, sagt Landscheidt. „Sie manipulieren an Freundschaften, reden nicht mehr mit jemandem oder schließen andere aus.“ Auf drei auffällige Jungen komme ein auffälliges Mädchen, erklärt der Schulpsychologe.

Wenn ein Mädchen gewalttätig werde, sei die psychische Störung wesentlich größer als bei einem Jungen, betont der Berliner Schulpsychologe Klaus Seifried. Während sich Männer auch physisch stärker durchsetzen müssten, konkurrierten Frauen eher durch Kriterien wie Schönheit miteinander. Dementsprechend weiter müsse ein Mädchen sich aus der Werteskala ihrer Gleichaltrigen entfernt haben, ehe es gewalttätig werde. Es müsse schon „sozial sehr entwurzelt“ sein, ehe es zu physischer Aggression greife, so Seifried. „Bei körperlicher Gewalt hat sich leider in den letzten Jahren herausgebildet, dass entwurzelte Mädchen sich zu Gangs zusammenschließen“, die dann andere Mädchen erpressen oder auf andere Weise terrorisieren.

Entgegen der geläufigen Annahme, werden Mädchen aber nicht gewalttätig, weil sie von ihren Eltern selber Gewalt erfahren, sondern weil ihre Eltern hilflos und schwach im Umgang mit ihnen seien, erklärt Landscheidt. „Die meisten Eltern sind nicht bösartig, sondern die Kinder haben das Geschick, Situationen eskalieren zu lassen, wo sich die Erwachsenen nicht mehr zu helfen wissen.“

Problematisches Verhalten von Kindern sei extrem schwierig zu behandeln, betont Landscheidt. Oft sei eine Therapie schon nach dem achten Lebensjahr nicht mehr erfolgreich.

Am besten sei es, bei den Eltern anzusetzen, sagt der Psychologe. „Dabei geht es darum, dass die Eltern lernen, Anforderungen zu stellen“. Dann fühlen sich die Jugendlichen nicht nur in einer Gruppe, in der sie Gewalt ausüben können, stark und erfolgreich. Weitere Informationen über Streitschlichter in Berlin gibt das DRK unter 030 7901 1320.

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