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Politik: Die Waffen der Sekte

Nach der Entdeckung von Pistolen und Granaten: Verfolgte die deutsche Colonia Dignidad in Chile auch militärische Ziele?

Santiago de Chile - Auf dem Flugplatz der Colonia Dignidad haben die chilenischen Untersuchungsbehörden das Ergebnis ihres neusten Coups aufgereiht. Tische voller Maschinenpistolen, Granaten, Anti-Personen-Minen, Panzerfäusten sowie Raketenwerfern. Das ist das größte private Waffenlager, das je in Chile entdeckt wurde. Und damit einer der stärksten Beweise im Prozess gegen den seit März inhaftierten Paul Schäfer.

Denn dem deutschen Sektengründer wird unter anderem vorgeworfen, dass er mit dem Militärregime unter Augusto Pinochet (1973–1990) eng zusammengearbeitet habe. „Dieser Fund bestätigt, dass in der Colonia Dignidad neben sexuellen Delikten auch weitere Verbrechen stattfanden“, sagt Innenminister Francisco Vidal. Eine friedliche Gemeinschaft brauche keine Waffen. Auf dem riesigen Gelände vier Autostunden südlich von Santiago de Chile sollen Regimegegner gefoltert und umgebracht worden sein. Amnesty International geht davon aus, dass bis zum Ende der Diktatur 1990 mindestens 119 Opfer des Regimes in die Colonia Dignidad verschleppt wurden. Der chilenische Geheimdienst Dina soll dort ein Verhör- und Folterzentrum betrieben haben. Diktator Pinochet besuchte einst persönlich die deutsche Sektensiedlung.

Doch über die Zusammenarbeit zwischen Pinochet und Schäfer gibt es viele Vermutungen, aber nur wenige konkrete Beweise. Nachdem der Sektengründer Schäfer verhaftet wurde, fand die Polizei Autos und Motoren auf dem Gelände, die möglicherweise von vermissten Regimegegnern stammen. Doch von den noch immer in Chile vermissten politischen Gefangenen des früheren Militärregimes fehlt jede Spur. Zwei von ihnen wurden zuletzt in der Kolonie gesehen.

Der Anwalt Guillermo Ceroni kämpft für die Rechte ehemaliger Regime-Opfer und ihrer Angehörigen. Jahrelang forderte er freien Zugang auf das Gelände der heute in Villa Baviera umgetauften Kolonie. Erst seitdem Schäfer in chilenischer Haft sitzt, wird das Gebiet von der Größe des Saarlands durchsucht. „Der Waffenfund macht doch nur noch wahrscheinlicher, dass dort auch die Körper von Vermissten zu finden sind“, sagt Ceroni.

Das Waffenlager wurde durch die Mithilfe ehemaliger Bewohner der Villa Baviera entdeckt. Die junge Generation der jetzigen Bewohner reagiert derweil geschockt: „Wir haben immer die Älteren gefragt, was hier passiert ist, aber es hieß immer, ,absolut nichts’“, sagt Víctor Briones, 26. „Was sollen wir denn jetzt noch glauben?“ Die bisher verbreitete Version, dass Schäfer alle Machenschaften alleine organisierte, ist schwerlich vorstellbar. Die in vier Aluminiumbehältern gefundenen Waffen belasten die gesamte Gemeinschaft schwer.

Der Baptist Schäfer siedelte 1961, nachdem er in Deutschland wegen Kindesmissbrauchs angeklagt wurde, mit etwa 300 Gefolgsleuten nach Chile über. Die Sektenmitglieder wollten offiziell der verarmten Landbevölkerung helfen. Die Deutschensiedlung erhielt bis 1990 den steuerlich günstigen Status der Gemeinnützigkeit. In der streng von der Außenwelt abgeschirmten Sekte lebten Männer und Frauen getrennt, Kinder separat von den Eltern. Schäfer war Sektenvorsteher, Prediger, Vaterfigur und absolute Autoritätsperson in einem.

Erst nach Chiles Rückkehr zur Demokratie 1990 begannen erste Ermittlungen gegen Schäfer und dessen Rolle während der Militärdiktatur. Als 1997 zwei Jungen aus der Sekte fliehen konnten, kam zudem ans Tageslicht, dass Schäfer sich an Kindern und Jugendlichen sexuell vergangen hat. Kurz darauf tauchte Schäfer unter.

Nach achtjähriger Flucht konnte der greise Schäfer im März in Argentinien aufgespürt werden. Seitdem sitzt er wie auch einige seiner ehemals engsten Vertrauten in einem chilenischen Hochsicherheitsgefängnis. Wie das Innenministerium auf Anfrage mitteilt, soll der Prozesstermin für den angeblich gesundheitlich angeschlagenen Schäfer in den nächsten Wochen festgesetzt werden. Der Waffenfund belastet ihn schwer. Allein der Besitz von Waffen ist in Chile strafbar.

Die jetzigen etwa 100 Bewohner haben sich zwar in den vergangenen Jahren den Ermittlern gestellt, die Schuld innerhalb ihrer Mauern eingestanden und auch den Weg nach außen gesucht, doch nun werden die Stimmen wieder besonders laut, die eine völlige Auflösung der Villa Baviera fordern.

Britta Buchholz

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