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Politik: …die Welt sich immerfort dreht

Die Diktatoren dieser Welt stehen unter unglaublichem Druck. Für alles sind sie persönlich verantwortlich, sie können sich auf keinen Mitarbeiter wirklich verlassen, und so kennt niemand ihre Qualen, wenn sie aus Gründen der Staatsräson zu Folter und Mord als letztem Mittel greifen müssen.

Die Diktatoren dieser Welt stehen unter unglaublichem Druck. Für alles sind sie persönlich verantwortlich, sie können sich auf keinen Mitarbeiter wirklich verlassen, und so kennt niemand ihre Qualen, wenn sie aus Gründen der Staatsräson zu Folter und Mord als letztem Mittel greifen müssen. Was bleibt ihnen als Ventil? Nur durch die Flucht in die zarten Höhen der Lyrik können Diktatoren ihrer gemarterten Seele Erleichterung verschaffen, Gaddafi, der es dichtend vom Terrorpaten zum geachteten Globalisierungskritiker brachte, Saddam Hussein,Kim Jong Il, selbst Radovan Karadzic, der freilich erst Reime schmiedete und dann Despot wurde.

In diese illustre Reihe gehört auch Saparmurat Nijasow, der die unvorstellbare Last auf sich genommen, hat, seinem Volk, den Turkmenen, auf Lebenszeit vorzustehen; außerdem dient er dem Land selbstlos als Armeechef und Vorsitzender der einzigen Partei. Er hat jetzt einen neuen Lyrikband vorgelegt, irgendwie passend zur Buchmesse, doch unglücklicherweise noch unübersetzt. Deshalb sind uns keine substanziellen Einblicke möglich in den kleinen Band, der „Ihr Lieben“ heißt und neben Gedichten auch literarische Kindheitserinnerungen enthalten soll. Doch aus früheren Veröffentlichungen wissen wir um seinen literarischen Rang; eigentlich steht nur seine relativ entspannte Beziehung zu George W.Bush dem Nobelpreis im Wege.

„Es ist eine unvorhersehbare Welt, wie ein Rad sich immerfort drehend“ das ist ein häufig zitierter Kernsatz Nijasows. Besonders häufig zitiert wird er vor allem deshalb, weil von Bewerbern für den turkmenischen Staatsdienst erwartet wird, dass sie die Grundsätze des Chefs auswendig gelernt haben. Auch seine Warnung vor der Zukunft gehört in ihrer prophetischen Kraft ins Poesiealbum jedes Literaturfreundes: „Wenn schlechte Dinge kommen, wird das Böse die Welt beherrschen.“ Ist das Verhängnis unserer Existenz je luzider beschrieben worden?

Ja, es könnte sogar sein, dass der Verzicht aufs Dichten einhergeht mit mangelnder Regierungskunst. Denn es war Nijasow und nicht etwa Wolfgang Clement, der die richtungweisende Idee hatte, die Woche auf zehn Tage zu verlängern und Rente erst ab 85 auszuzahlen – Deutschland wäre damit finanziell saniert und könnte sich seinen eigentlichen Problemen zuwenden. Einschlägiger Rat von Saparmurat Nijasow: „Wenn ein Schwein die Leiter hinaufklettert, dann wird die Einheit der Nation verloren sein.“

Eine gute Prophezeiung. Denn in Deutschland klettern keine Schweine die Leiter hinauf. bm

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