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Abgeriegelt: Sicherheitskräfte sollten das Verfahren gegen Mursi schützen. Foto: Reuters

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Politik: Die Willkür des Apparats

Ägyptische Menschenrechtler beklagen Übergriffe von Polizei und Armee Prozess gegen Ex-Staatschef Mohammed Mursi erneut vertagt.

Kairo - Schwarzer Rauch aus brennenden Autoreifen waberte durch die Straßen, Steine flogen. Die Polizei antwortete mit Tränengas, vereinzelt fielen Schüsse. Dicht gestaffelt standen Radpanzer vor dem schweren Eisentor der Nationalen Polizeiakademie in Neu-Kairo, wo am Mittwoch der zweite Prozesstag gegen den vom Militär gestürzten Mohammed Mursi stattfinden sollte.

Doch bereits nach zehn Minuten war alles vorbei, vertagte der Vorsitzende Richter den Prozess gegen den Ex-Präsidenten und 14 weitere Angeklagte auf den 1. Februar. Angesichts der seit dem frühen Morgen aufflammenden Krawalle in Kairo und Alexandria wagten es die Sicherheitskräfte offenbar nicht, Mursi im Gerichtssaal vorzuführen. Zudem will die Übergangsführung sechs Tage vor dem am 14. und 15. Januar geplanten Verfassungsreferendum keine weiteren Unruhen provozieren.

Die Wetterverhältnisse seien zu schlecht, hieß es offiziell zur Begründung, Nebel habe den Hubschrauberflug des Angeklagten vom Gefängnis Burj al Arab nahe der Mittelmeerküste nach Kairo verhindert. Ähnliches hatte sich bereits beim Prozessauftakt am 4. November zugetragen. Damals musste die Verhandlung wegen chaotischer Tumulte im Auditorium ebenfalls nach zehn Minuten abgebrochen werden. Mursi selbst war im Anzug erschienen und nicht in weißer Gefängniskleidung, hatte dem Gericht jegliche Legitimität abgesprochen und sich selbst als Präsident Ägyptens bezeichnet.

Mehr als ein Dutzend ägyptische Menschenrechtsgruppen beschuldigt unterdessen Polizei und Militär in einer 30-seitigen Dokumentation, den von ihnen ausgerufenen „Krieg gegen den Terror“ als Rechtfertigung für systematische Folter und Misshandlung zu benutzen. Tausende Menschen seien in den vergangenen Monaten inhaftiert worden, darunter viele Frauen, und würden ohne Anklage festgehalten. Ihre genaue Zahl zu ermitteln sei unmöglich, da die „Verhaftung von Hunderten an einem Tag inzwischen normal ist“. Nach eigenen Angaben haben die Aktivisten mittlerweile „zahllose Berichte“ über Folter, Quälereien, Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe der Sicherheitskräfte dokumentiert.

Laut der Website „Wiki Thaura“, auf die sich die Menschenrechtsgruppen berufen, verloren beim Aufstand gegen Hosni Mubarak 1075 Menschen ihr Leben. In der anschließenden 17-monatigen Übergangsphase unter dem Obersten Militärrat starben 438 Menschen, während der einjährigen Amtszeit von Mohammed Mursi gab es 470 Opfer. Seit dem Sturz Mursis und dem Putsch von Armee und Polizei am 3. Juli 2013 jedoch ist die Gewalt beispiellos eskaliert: Bislang kamen demnach 2665 Menschen ums Leben.

Gegen Mursi, der wie fast die gesamte Führung der Muslimbruderschaft seit Monaten hinter Gittern sitzt, laufen inzwischen drei Verfahren, die alle mit der Todesstrafe enden könnten. In dem Prozess am Mittwoch geht es um den Vorwurf, der Ex-Staatschef habe Ende 2012 seine Anhänger vor seinem Amtssitz in Heliopolis gegen oppositionelle Demonstranten aufgehetzt. Damals starben bei den Krawallen neun Menschen. Mitglieder der Muslimbruderschaft hatten zahlreiche Demonstranten auf eigene Faust festgenommen, verhört und übel zugerichtet.

In dem zweiten Verfahren, dessen erster Verhandlungstermin am 28. Januar ist, geht es um den Massenausbruch islamistischer Gefangener vor drei Jahren während des Volksaufstands gegen Mubarak. Seinerzeit waren aus der Haftanstalt Wadi Natrun hunderte Insassen entkommen. In einem dritten Verfahren lautet die Anklage auf Hochverrat. Mursi wird vorgeworfen, zusammen mit Hamas und Hisbollah Terrortaten in Ägypten geplant sowie Militärgeheimnisse an das Ausland verraten zu haben. Martin Gehlen

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