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Politik: Die Wortergreifung

Was Franz Müntefering im Osten beim Kampf gegen Rechtsextreme erlebt

Von Frank Jansen

Auf dem T-Shirt steht in altdeutschen Buchstaben „ehret die tapfersten Söhne Europas“. Doch der bullige Skinhead vermeidet plumpe Nazi-Propaganda, er präsentiert Provokation in sachlich klingendem Ton. „Unsere Meinung ist nicht radikal, sondern der Zeit angepasst“, sagt er und empfiehlt, „mal einen Tag für Demokratie, gegen Linksextremismus und Ausländerkriminalität zu machen“. Angesprochen ist der nach Cottbus gereiste SPD-Chef Franz Müntefering. Doch er lässt sich von der plötzlichen Liebe der rechten Szene zur Demokratie nicht beirren. „Sie werden keine Chance haben in Deutschland“, sagt Müntefering ebenfalls unaufgeregt, „wir haben die überwiegende Mehrheit der Menschen auf unserer Seite“. Der Skinhead setzt sich, seine Kumpane überlegen die nächste Wortmeldung. Müntefering hat eine aktuelle Strategie der Szene erlebt, die Einmischung per „Wortergreifung“ bei Veranstaltungen politischer Gegner.

Der SPD-Vorsitzende ist ins „Oberstufenzentrum 1“ gekommen, um etwas über die rechtsextreme Gefahr und die Gegenwehr vor allem junger Demokraten zu erfahren. Anschließend fährt er von Cottbus nach Dresden, mit derselben Absicht – Wahlkampf ist nicht. Was Müntefering erlebt, kann man, makaber formuliert, als Gruseltour mit Lichtblicken umschreiben. Aber es trifft den SPD-Chef nicht unerwartet. Vor einem Jahr, beim Wahlkampf in Sachsen, hatte er sein Schockerlebnis, das er auf der Fahrt nach Dresden schildert.

Es war in Pirna, da standen die Neonazis „so vor mir“, sagt Müntefering und hält die rechte Handfläche vor die Nase. „Es wurde einem richtig schwummerig“, Polizisten mit Hunden schritten ein. Müntefering ist noch heute „richtig elektrisiert“. Als dann noch die NPD am Wahltag in Sachsen einen Triumph feierte und beinahe die SPD überflügelte, war der Schrecken komplett. Seitdem tritt die SPD so offensiv wie selten zuvor gegen den Rechtsextremismus in der Bundesrepublik auf. Es wurden Experten zu Symposien eingeladen, ein 60-seitiger „Leitfaden“ zum Umgang mit dem Problem erarbeitet – und Müntefering begibt sich, wie schon seit Jahren Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, als zweiter prominenter Sozialdemokrat in betroffene Regionen.

Er hört vor allem zu und will mit seinem Besuch Ermutigung signalisieren. Das kommt an. In Cottbus stellen Jugendliche sehr engagiert aufklärerische Projekte über Nazizeit und Gegenwart vor, bis hin zur Partnerschaft mit einer Schule in Israel. Im Dresdner Volkshaus haben sich Mitglieder von Initiativen gegen Rechtsextremismus versammelt, die Stimmung schwankt zwischen Dankbarkeit für Münteferings Kommen und Verzweiflung. Da wird von Polizisten berichtet, die bei rechtsextremen Angriffen nur zögerlich reagieren, von unwilligen Lehrern, die sich der braunen Gefahr nicht stellen, und vom täglichen Mobbing, das deutsch-afrikanische Familien in Sachsen erleben. Konkrete Hilfe kann Müntefering da kaum versprechen. Es bleibt kaum mehr als realistischer Pessimismus: „Ich weiß nicht, ob wir das Problem in den nächsten fünf oder zehn Jahren klein machen. Lasst uns gemeinsam dafür arbeiten.“

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