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Politik: Die zarteste Versuchung

MERKELS CDU-PARTEITAG

Von Bernd Ulrich

Puh, da hat Deutschland noch mal Glück gehabt. Lange dachte man, die explodierenden Sozialkosten würden uns ruinieren und die wankende Regierung könne eh nichts mehr machen. Da befreit uns Angela Merkel von dieser tiefen Sorge. Die CDUChefin hat auf dem Parteitag glasklar die Fehler der Regierung analysiert, hat ihr vorgeworfen, sie habe weder Mut noch Plan, und dann, dann hat die starke Frau an der Spitze der zurzeit einzig funktionierenden Oppositionspartei gesagt, was sie selbst tun will gegen die Misere der Sozialsysteme: eine Kommission gründen. Das ist sehr nett von ihr.

Im Ernst, und es ist ja ernst: Angela Merkel hat in 100 Minuten ihre Strategie dargelegt. Die CDU will die Wahlen in Hessen und Niedersachsen am 2. Februar zur Volksabstimmung über Rot-Grün machen. Sie setzt auf Baisse, auf dramatische Zahlen, schlechte Stimmung, den irrlichternden Kanzler. Und sie weigert sich vorerst, schwarze Alternativen zum rot-grünen Rumregieren zu präzise zu benennen. Denn sonst könnte der Wähler womöglich erkennen, wie viel von all der Unbill aus objektiven Problemen erwächst – und woran die Regierung schuld ist. Wenn die Union genau sagen würde, was sie will, dann müsste auch sie von Schmerzen sprechen. Dann würde sie also politisch aufklären. „Aber in der wirtschaftlichen Großwetterlage dürfen wir jetzt nicht aus der Deckung herausgehen. Wer herausgeht, der wird angeschossen oder erschossen. Er kann überhaupt nichts Gescheites vorschlagen.“ Das hat natürlich nicht Angela Merkel gesagt, sondern der selig-unselige Franz Josef Strauß 1974. Das war seine Sonthofen- und Verelendungsstrategie: Die sozialliberale Koalition kann nur abgelöst werden, wenn das Land immer tiefer in die Krise rutscht.

Damals hat die Sonthofen-Strategie nicht funktioniert, der barock brausende Bayer unterlag. Das muss nicht bedeuten, dass sie auch bei der kühlen Physikerin Merkel scheitert. Was sie will, ist die zarteste Versuchung, seit es Sonthofen gibt. Das könnte aufgehen. Die Menschen fühlen, Deutschland ist auf einem Abweg. So oder so, Merkels sanfte Sonthofen-Strategie verträgt sich nicht mit ihrer christlichen Verantwortungsrhetorik. Immerhin ist die Union für den Kladderadatsch bei Rente, Gesundheit und Arbeit nach ihren 16 Regierungsjahren noch immer mit verantwortlich. Zudem haben auch Stoiber und Merkel einen überwiegend unehrlichen Wahlkampf geführt: Sie haben die Anforderungen der Zukunft verharmlost. Je länger aber die unausweichlichen Reformen hinausgeschoben werden, desto schmerzlicher fallen sie aus, egal wer gerade regiert. Und je länger die Parteien damit warten, ehrlich zu sein, desto länger gilt die sich selbst erfüllende Prophezeiung, dass der Wähler keine Zumutungen wählt.

Nun gut, könnte man einwenden: Auf die paar Monate bis zum Februar kommt es auch nicht mehr an. Hauptsache, Rot-Grün wird durch zwei ordentliche Wahlniederlagen vom falschen Weg abgebracht. Tatsächlich spricht viel dafür, dass der Kanzler erst umdenkt, wenn der Hoffnungsträger Sigmar Gabriel von eben dem Thron stürzt, auf den ihn Schröder einst setzte. Rote und Grüne sind am toten Punkt angekommen. Sie haben versucht, die grundlegenden Reformen zu verschieben, um es allen recht zu machen – und dabei erreicht, dass sie es niemandem mehr recht machen. Insofern markiert der 2. Februar eine Wende.

Aber auch eine für Merkel. Sie ist ein uneingehaltenes politisches Versprechen. Das lautet: Ich kann mehr als Macht erwerben und Popularitätsskalen erklettern. Ich kann auch was für Deutschland tun. Man wird es sehen. Ab Februar.

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