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Zeitarbeitsbranche: Die Zeit für den Mindestlohn wird knapp

Die Zeitarbeitsbranche braucht dringend einen Mindestlohn. Zumindest verlangt das Arbeitsministerin Ursula von der Leyen. Ansonsten werde im nächsten Jahr eine Lohnspirale nach unten in Gang gesetzt. In die Diskussion kommt Bewegung. Wie ist der Stand?

Wenn ab dem 1. Mai 2011 auch Arbeitskräfte aus Osteuropa unbeschränkt Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt haben, würden Stundenlöhne von drei oder vier Euro „legal nach Deutschland importiert“, warnt die Ursula von der Leyen. Unterstützung erhält die CDU-Politikerin von den Arbeits- und Sozialministern der Länder. Auch Arbeitgeber und Gewerkschaften werben für einen Mindestlohn in der Zeitarbeit – doch die FDP ziert sich noch.

Warum setzt die Ministerin sich für einen Mindestlohn ein?

Ab Mai 2011 haben Arbeitnehmer aus Ost- und Mitteleuropa freien Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Die bisherigen Beschränkungen für Polen, Tschechien, Ungarn, Estland, Lettland, Litauen, die Slowakei und Slowenien fallen dann weg. Mit einem Mindestlohn will die Arbeitsministerin Lohndumping durch ausländische Billig-Tarifverträge verhindern. In der Zeitarbeit gilt derzeit eine Klausel, die es möglich macht, dass Arbeitgeber vom Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ (Equal Pay) abweichen können. Zeitarbeitnehmer können dann schlechter als die Stammbelegschaft bezahlt werden, wenn es einen Tarifvertrag gibt. Daher ist die Tarifbindung in der Branche auch besonders hoch: Mehr als 90 Prozent der Beschäftigten in der Zeitarbeit werden nach Tarif bezahlt. Wenn ab Mai 2011 der deutsche Arbeitsmarkt weiter geöffnet werde, sei eine Lohnuntergrenze in der Zeitarbeit „unumgänglich“, mahnt daher der CSU-Arbeitsmarktexperte Max Straubinger. „Sonst besteht die Gefahr, dass die Löhne durch die neue Konkurrenz deutlich sinken werden.“

Droht ab Mai 2011 Billig-Konkurrenz auf dem deutschen Arbeitsmarkt?

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) rechnet damit, dass künftig jährlich zwischen 100 000 und 140 000 Arbeitskräfte aus den EU-Beitrittsländern zeitweilig oder dauerhaft einen Arbeitsplatz in Deutschland suchen werden. Gerade im Bereich der An- und Ungelernten, sagt BA-Vorstand Heinrich Alt, werde dadurch zusätzlicher Wettbewerb entstehen. Gewerkschaften und Arbeitgeber fürchten, dass die Zeitarbeit ab Mai 2011 unter der Konkurrenz leiden könnte – und setzen sich daher gemeinsam für einen Mindestlohn ein. „Es darf nicht sein, dass deutsche Zeitarbeitsunternehmen über Filialen in Polen oder Tschechien dann Zeitarbeitskräfte mit Entgelten von drei, vier oder fünf Euro pro Stunde ins Land bringen“, sagt Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt.

Wie sehen die Pläne für einen Zeitarbeits-Mindestlohn aus?

Leyen will eine Lohnuntergrenze im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz einführen und verweist auf einen entsprechenden Gesetzentwurf, der „bereits seit einigen Wochen bei mir im Ministerium in der Schublade liegt“. Der sieht vor, dass der Tarifausschuss, in dem Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften vertreten sind, einen Vorschlag für den Mindestlohn macht. Dieser wird dann vom Ministerium per Rechtsverordnung für allgemeinverbindlich erklärt. Das heißt: Alle Arbeitgeber in der Branche müssen ihren Beschäftigten mindestens diesen Stundenlohn zahlen. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz würde außerdem regeln, dass die vereinbarte Untergrenze auch für Anbieter gilt, die im Ausland ansässig sind und in Deutschland Personal beschäftigen. Die Lohnuntergrenze könnte ab Mai 2011 bei einem Stundenlohn von 7,79 Euro im Westen und 6,89 Euro im Osten liegen – wenn auf die Mindestlöhne in den aktuell gültigen Tarifverträgen zurückgegriffen würde.

Ist die FDP bereit, einen Mindestlohn in der Zeitarbeit zu unterstützen?

Die FDP sieht nach wie vor „keinerlei Notwendigkeit“ für einen Mindestlohn in der Zeitarbeitsbranche, wie der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Fraktion, Johannes Vogel, betont. Der FDP-Sozialexperte Heinrich Kolb irritierte am Donnerstag mit der Äußerung, die Liberalen seien bei dem Thema nicht „dogmatisch“. Sein Fraktionskollege Vogel betonte jedoch, die FDP sei sich bei der Zeitarbeit völlig einig. Und auch Kolb stellte später klar: „Eine Zustimmung der FDP zu einem Mindestlohn für die Zeitarbeit gibt es nicht.“ Der CSU-Abgeordnete Straubinger bedauert, dass es in der Koalition bisher keine Einigung gegeben hat. „Arbeitgeber und Gewerkschaften sind für den Mindestlohn, es gibt eine gesellschaftliche Akzeptanz dafür, nur die FDP hat Bedenken“, schimpft er. In Koalitionskreisen gilt es allerdings als nicht ausgeschlossen, dass die Liberalen am Ende ihren Widerstand aufgeben – auch weil die Arbeitgeber inzwischen selbst den Mindestlohn fordern.

Doch noch schwebt den Liberalen ein anderer Weg vor. Die FDP schlägt vor, Equal Pay nach einer Frist einzuführen, wie der Arbeitsmarktexperte Vogel bekräftigte. Das würde bedeuten, dass Zeitarbeitnehmer nach einer Einarbeitungszeit genauso entlohnt werden wie ihre fest angestellten Kollegen. Im Grundsatz ist die FDP damit sogar näher bei den Gewerkschaften als die Union. Der DGB setzt sich allerdings dafür ein, bereits ab dem ersten Arbeitstag gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu zahlen, während die FDP sich bislang nicht auf eine Frist festlegt. Ursula von der Leyen zeigte sich bereit, auch über Equal Pay zu reden, gab aber zu bedenken, dass eine zu kurze Frist das Instrument Leiharbeit kaputt machen könne und eine zu lange Frist den Arbeitnehmern nicht nutze.

Wird es weitere Mindestlöhne geben?

Über die Zeitarbeit hinaus wohl nicht so schnell. Die zuletzt eingeführten Mindestlöhne etwa in der Pflege sind auf die große Koalition zurückzuführen. Union und SPD vereinbarten damals, Branchen ins Entsendegesetz aufzunehmen, wenn Gewerkschaften und Arbeitgeber dies beantragen. Bisher gilt der Mindestlohn für Angestellte im Baugewerbe, für Gebäudereiniger, Abfallwirtschaft, Wäschereidienstleistungen, Bergbauspezialarbeiten und die Pflege. In den Koalitionsverhandlungen bestand die FDP jedoch darauf, dass alle Mindestlöhne bis Oktober 2011 überprüft werden.

Wie will die Koalition künftig Missbrauch in der Branche verhindern?

Anfang des Jahres machte die Drogeriekette Schlecker Schlagzeilen, weil sie einen Teil ihrer Mitarbeiter entließ, um sie über eine Zeitarbeitsfirma zu geringeren Löhnen zu beschäftigen. Eine neue Klausel im Gesetz soll nun sicherstellen, dass die Arbeitnehmerüberlassung nicht als „Drehtür“ zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen missbraucht wird. Zeitarbeiter, die in den sechs Monaten vor dem Einsatz in einem Betrieb dort angestellt waren, sollen künftig den gleichen Lohn wie die Stammbelegschaften erhalten. Dieser Schutz gilt jedoch nicht für Lehrlinge. Während diese in einem ersten Arbeitsentwurf im Juni noch von der „Drehtürklausel“ erfasst waren, sind sie im Referentenentwurf vom September gestrichen worden. „Wir wollen nicht die Betriebe bestrafen, die wesentlich über Bedarf ausbilden“, erklärt CSU-Arbeitsmarktexperte Straubinger. Es sei besser, wenn die Lehrlinge in solchen Unternehmen als Zeitarbeiter übernommen würden, als wenn sie ohne einen Job dastünden. Er sehe nicht die Gefahr, dass diese Möglichkeit von den Betrieben ausgenutzt werde, um Löhne zu drücken. Die Opposition bezweifelt das allerdings. „Der Drehtüreffekt in die Leiharbeit ist ab sofort für Azubis reserviert. Die Bundesregierung billigt die Übernahme von Auszubildenden in Niedriglohnjobs“, kritisiert Linken-Parteichef Klaus Ernst.

So beklagt die Gewerkschaft Verdi, dass etwa der Berliner Klinikkonzern Vivantes einen Teil seiner Azubis später bei der Zeitarbeitstochter Vivaflex anstellt. Die Beschäftigten dort würden etwa 200 Euro im Monat weniger verdienen als bei einer gleichwertigen Eingruppierung bei Vivantes. Der Linken-Politiker Ernst fordert daher, den Missbrauch durch klare Regeln einzudämmen. „In der Leiharbeit muss das Prinzip gelten, dass es für gleiche Arbeit gleiches Geld gibt.“

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