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Eher Internet- als Energieminister. Sigmar Gabriel – hier bei einem Live-Chat im Willy-Brandt-Haus – zeigt derzeit überall Präsenz, wo es um Netzthemen geht. So kam er auch Dienstagabend zur Vorstellung des Buchs „Silicon Valley“ von Christoph Keese, das vom Epizentrum der amerikanischen IT-Industrie handelt. Foto: Robert Schlesinger/dpa

© picture alliance / dpa

Digitale Wirtschaft: Bei Axel Springer liest man jetzt Karl Marx

Politik und Wirtschaft suchen nach Strategien, um den deutschen IT-Sektor voranzubringen. Dabei ergeben sich ganz neue Allianzen.

Von Anna Sauerbrey

Berlin - Deutschland sucht die Zauberformel. Wie schafft man hierzulande jene Bedingungen, die den amerikanischen Markt für Informations- und Telekommunikationstechnik zum erfolgreichsten der Welt machen? Wie ließe sich „Silicon Valley“ auch in Deutschland schaffen? Vergangene Woche erst hat Angela Merkel diese Frage in ihrer Regierungserklärung zur Schicksalsfrage erklärt. „Wie sich Deutschland und wie sich die Europäische Union in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts hier weltweit positionieren, das wird über unsere Wettbewerbsfähigkeit und damit auch über unseren zukünftigen Wohlstand entscheiden“, sagte die Kanzlerin. Bislang liegen die Deutschen im weltweiten Vergleich unter dem Durchschnitt. Die USA, die mit rund einem Drittel den größten Anteil der weltweiten Umsätze der ITK-Branche erwirtschaften, erwarten laut Bitkom in diesem Jahr ein Wachstum von fünf Prozent, Deutschland werde sich mit 1,7 Prozent begnügen müssen. Alle EU-Staaten brachten es zuletzt gemeinsam auf gerade mal ein Fünftel der weltweiten Umsätze.

Sigmar Gabriel geriert sich eher als Internet- denn als Energieminister

Kein Wunder also, dass Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) derzeit überall Präsenz zeigt, wo es um „irgendwas mit Internet“ geht. Er verleiht Start-up-Preise, trifft junge Unternehmer und, wo er kann, Googles Verwaltungsratschef Eric Schmidt. Kurz: Gabriel geriert sich eher als Internet- denn als Energieminister. Kein Wunder daher auch, dass er ein neues Buch offenbar genau gelesen hat, das für sich in Anspruch nimmt, genau jene Frage zu beantworten: was die Ursachen des amerikanischen Vorsprungs sind.

Der Cheflobbyist von Axel Springer schreibt über das Silicon Valley

Christoph Keese, Cheflobbyist des Axel-Springer-Verlags, hat 2013 gemeinsam mit „Bild“-Chef Kai Diekmann und weiteren Mitarbeitern der Führungsetage ein halbes Jahr lang in Palo Alto gelebt. Anfang nächster Woche erscheint mit „Silicon Valley“ sein Buch über das Epizentrum der amerikanischen IT-Industrie, eine Mischung aus Reportage, Analyse und politischer Streitschrift. Gabriel kam am Dienstagabend zur Buchvorstellung in die Landesvertretung Mecklenburg-Vorpommern und empfahl das Buch „mit großer Überzeugung“. Er habe es auf „drei langen Autofahrten“ gelesen und kaum aus der Hand legen können. Das Buch, sagte der Wirtschaftsminister, müsse man jenen 50 Prozent der kleinen und mittleren deutschen Unternehmen schicken, die jüngst in einer Umfrage zu Protokoll gaben, die Digitalisierung spiele für sie keine strategische Rolle.

Trifft Keeses Analyse zu, dürfte es die Politik allerdings schwer haben, den „Genius Loci“ des Silicon Valley auf Deutschland zu übertragen. Zu vielfältig sind die Faktoren, die der Springer-Mann nach Dutzenden von Treffen mit Kapitalgebern und Unternehmern herausarbeitet. Ist es das warme Klima, sind es die flachen Hierarchien in den Unternehmen? Der persönliche Austausch, die direkten Kontakte zwischen Idee und Geld? Die Fähigkeit, sich treiben zu lassen? Die Schnelligkeit, mit der Ideen zum Ziel geführt werden? Die Tatsache, dass man sich lieber mal eine Idee klauen lässt, als sie nicht zu diskutieren? Die eng mit der Wirtschaft verflochtene Universität Stanford? Die Diversität? Die Frustrationsresilienz? Das in rauen Massen verfügbare Geld? Oder das „disruptive“ Geschäftsmodell vieler Silicon-Valley-Unternehmen, das nach Keeses Darstellung genau da ansetzt, wo althergebrachte Geschäftsmodelle ihre Schwächen haben – um sie von dort zu vernichten.

Gabriel und Keese meinen beide: Das Kartellrecht soll Googles Einfluss eindämmen

Es ist alles auf einmal, so sieht es Keese, und vieles davon entzieht sich dem Einfluss der Politik. Sigmar Gabriel greift deshalb heraus, was er steuern kann: Er fordert die Deregulierung des deutschen Telekommunikationsmarktes, damit die Unternehmen in Deutschland mehr investieren können, auch in den Ausbau der Netze. Ähnlich steht es auch in der „Digitalen Agenda“ der Bundesregierung, die im August verabschiedet wurde. Investitionen in Risikokapital müssten erleichtert werden, sagt Gabriel, und die Dax-Konzerne mutiger werden. In den Schulen müsse der Informatikunterricht gestärkt werden.

Für beide, für Keese wie für Gabriel, ist Silicon Valley aber nicht nur Vorbild, sondern auch eine wirtschaftliche Bedrohung. Der Axel-Springer-Verlag gehörte zu den Vorreitern des Kampfes für das 2013 vom alten Bundestag beschlossene „Leistungsschutzrecht“, das vorsieht, dass Suchmaschinen wie Google die Verlage für die Verwendung ihrer Texte entschädigen sollen. Kleine Textausschnitte, wie Google sie anzeigt, wurden aber letztlich davon ausgenommen. Eine Beschwerde von Axel Springer und anderen Verlagen vor dem Bundeskartellamt wurde Ende August zunächst zurückgewiesen. Doch auch Gabriel liebäugelt weiter mit kartellrechtlichen Schritten gegen Google. Am Dienstag sagte er, er habe die Monopolkommission noch einmal aufgefordert, bald Ergebnisse ihrer Prüfung von Googles Marktstellung vorzulegen. Gabriel lässt prüfen, ob nicht schon das Verfügen über so große Datenmengen eine Monopolstellung begründen könne. Bislang hat die Monopolkomission sich skeptisch geäußert. Die europäische Kommission hingegen streitet bereits mit dem Konzern über den Missbrauch seiner marktbeherrschenden Stellung.

Der Genius Loci des Silicon Valley strahlt schon nach Deutschland aus - anders, als man denkt

In Silicon Valley, stellt Christoph Keese fest, seien politische Positionen nivelliert, dafür gebe es ungewöhnliche Allianzen. Etwas vom viel gepriesenen „Genius Loci“ strahlt also bereits aus auf die Berliner Republik aus: Ein sozialdemokratischer Wirtschaftsminister und ein Springer-Frontmann haben plötzlich viel gemeinsam. Der Erste fordert Deregulierung – es sei denn, es gilt, Monopole zu beschränken. Der Zweite zitiert in seinem Buch Karl Marx: Mit der Digitalisierung sei es wie mit der Industrialisierung – sie begünstige das Entstehen von Monopolen und führe zur Akkumulation von Kapital in den Händen weniger.

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