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© AFP

Dink-Mord: Motiv: Purer Hass

In Istanbul hat das Verfahren wegen der Ermordung des armenischstämmigen Journalisten Dink begonnen.

Auch ein halbes Jahr nach der Ermordung des armenischstämmigen Journalisten Hrant Dink in Istanbul sind die gesellschaftlichen Wunden der Gewalttat noch nicht verheilt. Beim Auftakt des Prozesses gegen Dinks mutmaßliche Mörder am Montag zeigte sich, dass sich Armenier und Reformanhänger in der Türkei nach wie vor dem Vorwurf ausgesetzt sehen, Nestbeschmutzer und Vaterlandsverräter zu sein. Gleichzeitig stehen die Sicherheitskräfte unter dem Verdacht, mit den Mördern zu sympathisieren oder die Tat sogar angeordnet zu haben.

Ogün Samast, ein 17-jähriger Arbeitsloser aus der rechtsnationalen Szene der nordosttürkischen Stadt Trabzon, hat gestanden, Dink vor der Redaktion von dessen Wochenzeitung „Agos“ mit mehreren Schüssen in Nacken und Kopf getötet zu haben. Zwei seiner Freunde aus Trabzon, Yasin Hayal und der ehemalige Polizeispitzel Erhan Tuncel, sollen ihn angestiftet haben. Ihr Motiv war purer Hass: Laut Anklageschrift galt Dink ihnen als „Feind der Türken“, weil er von einem türkischen Völkermord an den Armeniern sprach.

Da der Hauptangeklagte Samast noch nicht volljährig ist, findet der Prozess in Istanbul hinter verschlossenen Türen statt. Außer den insgesamt 18 Angeklagten und ihren Verteidigern dürfen nur Dinks Angehörige mit ihren Anwälten im Saal sein. Die Staatsanwaltschaft wertet den Mord als Terrorakt und fordert Haftstrafen – bis hin zu einer lebenslänglichen Haft.

Dennoch haben die Familie Dink, ihre Anwälte und Teile der türkischen Öffentlichkeit große Zweifel daran, dass der Prozess die ganze Wahrheit zutage fördern wird. Schließlich war Todesschütze Samast bei seiner Festnahme von Polizisten wie ein Held gefeiert worden. Nach Einschätzung der Dink-Anwälte wurden bei den Ermittlungen viele Dokumente vernichtet. Der Angeklagte Yasin Hayal schrieb in einem Brief an die Staatsanwaltschaft, er und die anderen Beschuldigten hätten bei dem Mord auf Befehl einer Gruppe innerhalb der Polizeibehörde gehandelt.

Um ihre Unterstützung für Dink zu bekunden, ließen sich am ersten Prozesstag mehrere hundert Anwälte für das Verfahren akkreditieren. Ein Dachverband aus mehreren Vereinen und Gruppen will den Prozess, der nach Angaben von Experten mehrere Jahre dauern kann, minutiös verfolgen.

„Wir sind alle Hrant Dink“, „Wir sind alle Armenier“, stand am Montag auf runden Schildern, die von Teilnehmern einer Unterstützungskundgebung für Dink in Istanbul in die Höhe gehalten wurden. Dieselben Schilder waren schon beim Trauermarsch einer Viertelmillion Menschen unmittelbar nach Dinks Tod am 19. Januar zu sehen gewesen. Nationalisten hatten diesen Ausdruck der Solidarität mit Dink und der armenischen Minderheit als Verrat an der Türkei gebrandmarkt. In türkischen Fußballstadien tauchten damals Transparente mit der Aufschrift „Wir sind alle Ogün Samast“ auf.

Der Hass der Nationalisten, für die ein „richtiger“ Türke immer auch ein Muslim sein muss, hat sich seitdem nicht gelegt. „Ihr seid wirklich alle Armenier“, rief der Anwalt eines Angeklagten, als Dinks Witwe Rakel am Montag bei Gericht ankam. „Ihr habt doch bestimmt armenische Pässe.“

Das gesellschaftliche Klima in der Türkei habe sich seit dem Mord an Dink im Januar noch einmal deutlich verschlechtert, sagt der in Istanbul lehrende deutsche Historiker Christoph K. Neumann. Es sei wichtig, dass nicht nur die „kriminalistische Oberfläche“ des Verbrechens geklärt werde, sondern auch der politische Hintergrund.

Kurz vor dem Prozess hatte das Innenministerium in Ankara die Sicherheitskräfte im ganzen Land zu verstärkter Wachsamkeit aufgerufen: Es gebe Hinweise, dass Einrichtungen der christlichen Minderheiten angegriffen werden sollten. Tatsächlich machen militante Nationalisten in der Türkei weiter mobil. In den vergangenen Wochen wurden in Istanbul und dem anatolischen Eskisehir illegale Waffenlager ausgehoben, die offenbar zur Vorbereitung von Anschlägen angelegt worden waren. Unter den Festgenommenen waren ein pensionierter Soldat – und zwei Männer aus Trabzon, der Heimat von Ogün Samast.

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