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Betretene Gesichter. Die sozialistische Europaabgeordnete Véronique De Keyser (Mitte) verurteilt bei einer Pressekonferenz in Brüssel gemeinsam mit weiteren belgischen EU-Abgeordneten den Angriff auf die Gaza-Hilfsflotte.

© dpa

Diplomatische Folgen: Brüssel unter Schock

Die Europäische Union ist schockiert über Israels tödliche Militäraktion auf dem Hilfskonvoi, der in Richtung des abgesperrten Gazastreifens unterwegs war. Die EU-Staaten beraten über stärkeren politischen Druck.

Die Europäische Union ist schockiert über Israels tödliche Militäraktion auf dem Hilfskonvoi, der in Richtung des abgesperrten Gazastreifens unterwegs war. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton, die im März in dem von der extremistischen Hamas kontrollierten Palästinensergebiet zu Besuch war, forderte am Montag die Regierung in Jerusalem auf, „unmittelbar eine vollständige Untersuchung“ der Ereignisse einzuleiten, die zum Tod zahlreicher Menschen führten. In einem Telefonat mit ihrem israelischen Gegenüber Avigdor Lieberman habe sie ihre „tiefste Besorgnis“ ausgedrückt, so Ashton bei einem Besuch in Warschau.

„Das ist ein ungerechtfertigter Angriff“, teilte der polnische Präsident des Europaparlaments, Jerzy Buzek, mit. Noch am Nachmittag kamen in Brüssel die 27 EU-Botschafter zu einem Krisentreffen zusammen, um das Vorgehen zu besprechen. In Jerusalem selbst versuchten europäische Diplomaten in Gesprächen mit der israelischen Seite, mehr über den Armeeeinsatz in Erfahrung zu bringen. Entgegen ersten Gerüchten waren nach Auskunft der Europaparlamentsverwaltung offenbar keine Brüsseler Abgeordneten an Bord der sechs angegriffenen Schiffe. Dennoch sitzen Trauer und Zorn tief. Der frühere Grünen-Chef Reinhard Bütikofer sprach dem Tagesspiegel gegenüber von „einer erbärmlichen Aktion des israelischen Militärs, die Europa nicht übergehen wird“. Sie werde dem Land „enorm“ schaden.

Die EU fordert bereits seit langem die Aufhebung der Blockade des Gazastreifens durch Israel – bisher jedoch ist wenig geschehen. Das Europaparlament forderte Ashton am Montag geschlossen auf, sich stärker als bisher dafür einzusetzen: „Wir können nicht einfach danebenstehen, während inzwischen 80 Prozent der Bevölkerung von Gaza unterhalb der Armutsgrenze leben“, sagte Buzek. Und auch Ashton selbst forderte für die Menschen im Gazastreifen bessere Lebensbedingungen „als die, die ich selbst gesehen habe“.

Wie verstärkter politischer Druck aussehen könnte, war am Montag Thema beim Treffen der 27 ständigen Vertreter in Brüssel. Die Hamas wird von der EU immer noch als Terrororganisation eingestuft. Es gibt keine offiziellen Kontakte, lediglich Vermittlungen etwa des Bundesnachrichtendienstes beim Thema Gefangenenaustausch. Zwischen Israel und der EU existiert seit dem Jahr 2000 ein sogenanntes Assoziierungsabkommen, das unter anderem den „Respekt vor den Menschenrechten und das demokratische Prinzip zur politischen Richtschnur der internen und internationalen Politik“ erhebt.

Daher wurde am Montag in Brüssel vereinzelt die Forderung laut, dieses Abkommen, das unter anderem Handels- und Investitionserleichterungen sowie einen umfassenden politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Austausch vorsieht, zumindest bis zum Abschluss einer Untersuchung auszusetzen. Vorschnellen Entscheidungen erteilte ein Sprecher der EU-Kommission im Namen Ashtons jedoch eine klare Absage: „Wir sollten jetzt erst einmal die diplomatischen Kanäle arbeiten lassen.“ In einer am Abend veröffentlichten Erklärung verurteilten die 27 EU-Mitgliedsstaaten die Anwendung von Gewalt und verlangten eine „sofortige volle und unparteiische Untersuchung“. Die Lage im Gazastreifen bleibe „ein Grund für ernste Sorge“.

Auch der FDP-Europaabgeordnete Michael Theurer aus Baden-Württemberg, der sich schon lange für gute Beziehungen mit Israel einsetzt, kritisierte die Militäraktion; es stelle sich „zwangsläufig die Frage der Verhältnismäßigkeit“. Das Argument, man müsse Hilfslieferungen über den Seeweg in das blockierte Gebiet bringen, nannte Theurer aber „nicht stichhaltig“: „Vor wenigen Wochen habe ich am Grenzübergang Rafah selbst gesehen, wie Hilfslieferungen in den Gazastreifen gelassen werden. Aber sie werden natürlich nach Waffen durchsucht.“

Die EU-Außenbeauftragte Ashton verlangt dagegen, auch die Blockade für normale Handelsgüter „sofort und ohne Bedingungen“ zu lockern. Auch die Ein- und Ausreise von Personen dürfe nicht länger durch Israel unterbunden werden. Israels Vorgehen sei „inakzeptabel und politisch kontraproduktiv“. mit dpa

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