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Nach dem Putschversuch vor einem Jahr blieben viele Deutsche der Türkei fern - hier eine Einkaufsstraße an der Türkischen Riviera. (Archiv)

© dpa/Marius Becker

Diplomatische Krise: Reisen Sie noch in die Türkei?

Die Türkei hat wunderbare Plätze, um Urlaub zu machen. Zugleich sitzen in den Gefängnissen politische Häftlinge. Darf man da noch hin? Ein Pro & Contra.

Pro von Frank Herold

Erdogan ist ein ebenso machtgeiler wie paranoider Diktator. Kein Zweifel. Der Gedanke, er ließe sich durch die Drohung mit einen Reiseboykott beeindrucken, erscheint mir ziemlich albern. Unabhängig davon, wie wichtig der Tourismus für die Wirtschaft der Türkei ist: Wirklichen Schaden würden am Ende wohl nur die kleinen Unternehmer in den Urlaubsorten erleiden. Die Drohung, die Deutschen könnten ausbleiben, ist in Wahrheit nur eine Ersatzhandlung deutscher Politiker – und noch dazu eine ziemlich unlautere.

Politiker stehlen sich aus der Verantwortung

Zum einen, weil sie offenkundig nach Gutdünken angewandt wird. Einige derer, die heute einen Reiseboykott der Türkei fordern, sind weit davon entfernt, einen solchen für Russland oder China zu verlangen. Und zum Zweiten wird dadurch eine zutiefst politische Frage moralisiert: Alle, die dennoch reisen, handeln gewissenlos, heißt die Botschaft. Denn: Darf man sich am Strand sonnen, wenn in der Nähe Menschen Opfer der Diktatur werden? Die Frage so gestellt, darf man natürlich nicht. Aber da wird ein absurder Zusammenhang konstruiert. Gewendet hieße der Satz doch: Wer sich nicht mehr in der Türkei sonnt, der setzt sich für die Freilassung von Deniz Yücel ein. Wenn es so einfach wäre.

Die Politiker stehlen sich aus ihrer Verantwortung. Denn es sind die Regierungen, nicht die Touristen, die auf autokratische Regimes Druck ausüben müssen. Wirtschaftliche Sanktionen sind dabei nicht nur wichtig, sondern unverzichtbar. Aber sie müssen sich ganz direkt auf den Diktator und seine Gefolgschaft richten – nicht pauschal gegen ein Land. Das ist nicht einfach. Aber wer das Land und seinen Diktator in eins setzt, spielt letztlich den Regimes letztlich in die Hände. Denn es ist die Behauptung der Diktatoren, sie seien eins mit dem Land.

Nicht auf Begegnung verzichten

Zuletzt eine kleine Hoffnung: Reisen verändert nicht nur den Touristen. Es verändert auch ein wenig das Land, in das er reist. Reisen sind Begegnungen, Information und Austausch. Vielleicht ist in einem Ausnahmefall ein Urlauber schon einmal einem Diktator persönlich begegnet. Dafür aber trifft er oft viele „ganz gewöhnliche“ Menschen. Darauf sollten wir nicht verzichten.

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Ein sehr reales Risiko

Demonstrationen werden von der türkischen Polizei brutal aufgelöst.
Demonstrationen werden von der türkischen Polizei brutal aufgelöst.

© Sertac Kayar, Reuters

Contra von Christian Vooren

Finger weg von Reisen in die Türkei! Nicht, weil das Land an sich keine Reise wert wäre oder die Menschen dort unhöflich seien. Die Infrastruktur für den Fremdenverkehr ist gut ausgebaut. In weniger turbulenten Zeiten könnte man sich hier gut erholen. Aber nicht jetzt. Schon allein um der eigenen Gesundheit willen. 2016 gab es mindestens zehn größere Anschläge im Land und einen Putschversuch. Demonstrationen werden von der Polizei brutal aufgelöst. Die Dynamik, wann und wo Tumulte hochkochen, ist kaum vorherzusehen. Deutsche müssen jederzeit damit rechnen, grundlos verhaftet zu werden. Es reicht schon, mit den falschen Menschen zu sprechen. Dann wird unter Umständen wochenlang keine Anklage erhoben, konsularische Betreuung ist nicht garantiert. Eine Situation, wie man sie sonst nur aus Krisengebieten kennt.

Sich am Strand zu fläzen, ist der blanke Hohn

Das klingt dramatisch, ist aber ein sehr reales Risiko. Außenminister Gabriel hat völlig recht, wenn er über die Verschärfung der Reisehinweise sagt: „Wir können gar nicht anders.“

Nun ist jeder für sich selbst verantwortlich, wer das Risiko eingehen will, soll das tun. Doch es geht um mehr, um den Respekt vor denen, die dort inhaftiert sind. Die ihrer Grundrechte und ihrer Freiheit beraubt werden. Menschen wie die deutsche Übersetzerin Mesale Tolu, der Journalist Deniz Yücel und der Menschenrechtler Peter Steudtner. Sie alle waren nicht zum Spaß dort, sondern um ihrer Arbeit nachzugehen. Sich nun ausgerechnet in Antalya am Strand zu fläzen oder Selfies am Bosporus zu machen, ist nicht gedankenlos, es ist der blanke Hohn.

Nicht zu fahren hat übrigens nichts mit mangelnder Dialogbereitschaft zu tun, nichts damit, ein komplexes Land nicht verstehen zu wollen. Die meisten Türkeitouristen fahren in Badeorte und Bettenburgen. Da werden keine diplomatischen Brücken gebaut. Das müssen andere erledigen. Wenn es gut läuft, wird sich das Verhältnis irgendwann wieder einpegeln. Dann können wir alle guten Gewissens in die Türkei fahren. Aber bis dahin ist jede Buchung ein Almosen für einen Diktator, der die Todesstrafe wieder einführen will. Mit Urlaub hat das alles nichts zu tun.

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