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Die Diskussion um die Äußerungen Jörg-Uwe Hahns wird immer lauter.

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Diskussion um Äußerung von Hessens FDP-Chef Hahn: Türkische Gemeinde: Deutschland leugnet Rassismus im eigenen Land

Die Äußerung des hessischen FDP-Ministers Hahn über Parteichef Rösler erregt die Gemüter. Hat Deutschland ein Rassismus-Problem? Die Türkische Gemeinde sagt Ja und fordert eine Grundsatzdebatte. In der SPD rechnet man schon mit Hahns Rücktritt.

Nach der umstrittenen Äußerung des hessischen Integrationsministers Jörg-Uwe Hahn (FDP) fordert die Türkische Gemeinde in Deutschland eine Grundsatzdebatte über Rassismus in der Gesellschaft. Die Diskussion sei überfällig, sagte der Bundesvorsitzende Kenan Kolat am Freitag der Nachrichtenagentur dpa. Deutschland habe den Begriff und die Auseinandersetzung darüber lange gemieden. „Man leugnet das.“ Dabei gebe es einen institutionellen Rassismus im Land. „Wir müssen darüber offen reden“, verlangte er. In führenden Positionen der Gesellschaft seien noch immer kaum Zuwanderer vertreten, kritisierte Kolat. „Es fehlt das migrantische Auge.“ In staatlichen Stellen und Behörden seien Vorurteile gegenüber Migranten weit verbreitet. Jüngsten Studien zufolge seien rechtsextreme und rassistische Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft angekommen. „Das ist gefährlich.“ Die Türkische Gemeinde will Anfang März einen Vorschlag für einen Gesetzentwurf vorlegen, um die Zahl der Migranten in allen Behörden zu erhöhen: Demnach soll dort künftig überall ein fester Anteil an Zuwanderern unter den Mitarbeitern Pflicht sein. Aufhänger für die aktuelle Debatte ist eine Interviewäußerung Hahns über FDP-Chef Philipp Rösler. Der „Frankfurter Neuen Presse“ hatte der hessische FDP-Politiker gesagt: „Bei Philipp Rösler würde ich allerdings gerne wissen, ob unsere Gesellschaft schon so weit ist, einen asiatisch aussehenden Vizekanzler auch noch länger zu akzeptieren.“ Das löste heftige Kritik aus. Hahn bemühte sich, die Wogen zu glätten, und erklärte, er habe lediglich auf einen unterschwelligen Rassismus in der Gesellschaft hinweisen wollen. Rösler nahm Hahn am Freitag in Schutz. Dieser sei „über jeden Verdacht des Rassismus erhaben“. Kolat beklagte, Hahns Äußerung sei höchst unglücklich gewesen. Er forderte den hessischen Minister zum Handeln auf. „Wenn er es ernst meint mit seiner Erklärung, sollte er jetzt nachlegen und etwas gegen den latenten Rassismus in Deutschland tun.“

Die Kanzlerin wiegelt ab, in der SPD rechnet man schon mit Hahns Rücktritt

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht in den umstrittenen Äußerungen des hessischen FDP-Chefs Jörg-Uwe Hahn keinen Anlass für eine größere Rassismus-Debatte. Hahn hatte die Frage gestellt, „ob unsere Gesellschaft schon so weit ist, einen asiatisch aussehenden Vizekanzler auch noch länger zu akzeptieren“. Der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter sagte am Freitag dazu: „Die Bundeskanzlerin (hat) sich diese Frage noch nie gestellt.“ Die Äußerung Hahns sei aus Sicht der Kanzlerin kein Anlass für eine größere Debatte.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hingegen hat dem hessischen FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn wegen seiner Äußerung zur asiatischen Herkunft des liberalen Parteichefs Philipp Rösler Rassismus vorgeworfen. “Herr Hahn scheint nicht alle beieinanderzuhaben“, sagte Gabriel am Freitag in Berlin. Es handele sich um einen “unglaublichen Satz“ mit einem “versteckten Rassismus“. Er wisse nicht, was in der liberalen Partei los sei. “Die haben kein Lieferproblem, die haben scheinbar ein Produktionsproblem“, fügte Gabriel hinzu. Er hoffe, dass es sich bei Hahns Aussage um einen ähnlichen “Blackout“ handele wie bei Fraktionschef Rainer Brüderle, der wegen anzüglicher Bemerkungen gegenüber einer Journalistin in der Kritik steht. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier rechnet gar mit einem Rücktritt Hahns. “Das ist skandalös. Und ich glaube nicht, dass sich Herr Hahn nach diesen Äußerungen über Herrn Rösler halten wird“, sagte er im ZDF. Hahn hatte in einem Zeitungsinterview gesagt: “Bei Philipp Rösler würde ich allerdings gerne wissen, ob unsere Gesellschaft schon so weit ist, einen asiatisch aussehenden Vizekanzler auch noch länger zu akzeptieren.“ Rösler ließ erklären, er verstehe die Aufregung um die Aussage nicht.

Das vermeintliche Opfer nimmt Hahn selbst in Schutz

FDP-Chef Philipp Rösler hat den hessischen FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn gegen Rassismus-Vorwürfe in Schutz genommen. „Jörg-Uwe Hahn ist über jeden Verdacht des Rassismus erhaben“, erklärte Rösler am Freitag in Berlin. „Mit Jörg-Uwe Hahn verbindet mich seit vielen Jahren nicht nur die politische Arbeit, sondern auch eine persönliche Freundschaft.“ Der Bundeswirtschaftsminister ergänzte: „Ich verstehe die Aufregung über die vielfach kritisierte Interview-Äußerung von Jörg-Uwe Hahn vom Donnerstag nicht.“ Rösler wurde in Vietnam geboren und als Kleinkind von einem deutschen Ehepaar adoptiert. Hahn hatte der „Frankfurter Neuen Presse“ gesagt: „Bei Philipp Rösler würde ich allerdings gerne wissen, ob unsere Gesellschaft schon so weit ist, einen asiatisch aussehenden Vizekanzler auch noch länger zu akzeptieren.“ Die Opposition reagierte mit heftiger Kritik und warf Hahn „billigsten Rassismus“ und eine „stillose Entgleisung“ vor. Rösler betonte dagegen, Hahn habe als Integrationsminister in Hessen in den vergangenen Jahren erfolgreich gewirkt. „Das zeigen auch die positiven Stellungnahmen aus den Verbänden der Menschen mit Migrationshintergrund.

Ausländerbeirat nimmt Hahn in Schutz

Auch von außerparlamentarischer Seite hatte Hahn Unterstützung bekommen. Der Ausländerbeirat Hessens nahm ihn in Schutz. "Er ist nicht rassistisch eingestellt", sagte der Vorsitzende der hessischen Ausländerbeiräte (agah), Corrado Di Benedetto. Im Gegenteil: "Ich sehe die Äußerungen des Integrationsministers unmissverständlich positiv."

Der Ausländerbeirat bezeichnete die Frage danach, ob die Gesellschaft bereit sei für einen Vizekanzler mit asiatischen Wurzeln, als Missverständnis. "Unsere Gesellschaft ist wohl noch nicht so weit, dass man es als selbstverständlich ansieht, dass Menschen mit Migrationshintergrund Führungspositionen besetzen", sagte Di Benedetto. Hahn habe dieses Thema angesprochen – "und es ging dabei keineswegs um Rösler". Allein der Wahlkampf sei für die massive Entrüstung verantwortlich, die nun über Hahn hereinbreche.

Rassistische Äußerungen "keine Seltenheit" in der FDP

Unterstützung bekam der hessische FDP-Chef auch aus seiner Partei. "Die Wortwahl war offensichtlich missverständlich. Es ist aber notwendig, diese Debatte zu führen", sagte der Vorsitzende der Jungen Liberalen (JuLi), Lasse Becker. Hahn habe eigentlich das von ihm geschilderte Rassismus-Problem im Umgang mit Rösler ansprechen wollen.

Rassistische Äußerungen gegen den aus Vietnam stammenden FDP-Chef sind Becker zufolge keine Seltenheit. "Ich bekomme am Wahlkampfstand in der Fußgängerzone zu hören: Ich würde Euch ja wählen, aber dafür müsste erst einmal der Chinese weg", sagte er.

Thüringens FDP-Generalsekretär Patrick Kurth schilderte ähnliche Erlebnisse. "Als FDP-Mitglied erlebe ich häufig offene oder versteckte rassistische Äußerungen mit Blick auf Rösler. Dabei könne wir stolz auf unser Land sein, in dem es möglich ist, dass ein Opfer des Vietnam-Krieges es bis in die Regierungsspitze schaffen kann", sagte Kurth.

Unterstützung aus der eigenen Partei

Aus seiner Sicht stelle Hahn nicht Rösler infrage. Vielmehr wolle dieser wissen, "ob die Bürger tatsächlich für den Fortschritt bereit sind, einen 'asiatisch aussehenden Deutschen' als Vizekanzler zu akzeptieren. Das ist ein Appell an das schlechte Gewissen der Deutschen." Auch der schleswig-holsteinische FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki nahm Hahn in Schutz: "Ich kenne ihn aber seit langem und gut, und ich weiß, dass er keine rassistischen Äußerungen tätigen wollte."

SPD und Linkspartei hatten Hahns Äußerungen als rassistisch motivierten Ausfall gewertet. Hahn, der auch Justizminister ist, wies die Kritik hingegen zurück. "Ich habe darauf hinweisen wollen, dass es in unserer Gesellschaft einen weit verbreiteten, oft unterschwelligen Rassismus gibt", sagte er. "Dieses gesellschaftliche Problem darf man nicht totschweigen, sondern muss es offen ansprechen, um es zu bekämpfen." Wer in seine Äußerung etwas anderes hineinlese, verstehe ihn falsch. (mit AFP,dpa)

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