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Dobrindt und seine PKW-Maut: Allein auf weiter Flur

Das schafft der nie, haben alle gesagt. Aber dann hat Minister Alexander Dobrindt doch einen Gesetzentwurf zustande gebracht. Und Kritiker der Pkw-Maut stimmen zu. Trotzdem sieht der Sieg nicht wie ein Triumph aus. Weil auch jetzt noch viele Fragen offen sind.

Von Robert Birnbaum

Wenigstens hat er gar nicht erst geglaubt, dass man ihn mit Lob überhäufen würde. Alexander Dobrindt sieht trotzdem ganz zufrieden aus an dem Tag, an dem er endlich seinen Maut-Gesetzentwurf vorlegen kann. Vor ein paar Stunden hat er seine ärgsten Widersacher verabschiedet, die Damen und Herren aus den West-Landesverbänden der CDU. Sie haben ihm grünes Licht gegeben, vorerst. Die EU-Kommission auch, vorerst. Die Konstruktion einer Ausländermaut, die trotzdem Geld bringt und nicht gegen EU-Recht verstößt, ist verschiedentlich mit der Quadratur des Kreises verglichen worden. Er hat es jetzt also schon einmal bis zum Dreieck geschafft.

Dobrindt wäre übrigens durchaus empfänglich dafür, wenn mal endlich jemand diese Leistung seelenwärmend anerkennen würde. Aber er hat schon als CSU-Generalsekretär die Fähigkeit ausgebildet, quasi als teilnehmender Beobachter sich selbst zuzuschauen. Dieses zweite Ich macht sich keine Illusionen. In Presse und Politik waren vorher 90 Prozent gegen die Maut, die bleiben dagegen. Höchstens Horst Seehofer könnte ihn loben. Nur, ob das gerade hilft?

Einwände bügelt er nicht ab

Dies ist also die Geschichte eines relativ einsamen Mannes. Dabei ist Dobrindt im Grunde ein geselliger Typ. Kein Bierzelt-Impresario, dafür spricht er viel zu bedächtig. Aber er schart gerne einen Kreis von Leuten um sich, in dem man dann vernünftig redet. Er kann in solchen kleinen Runden sehr überzeugend sein, ein gut präparierter Argumentierer, der Einwände nicht abbügelt, sondern zu entkräften versucht. Angela Merkel und ihre Truppen waren jedenfalls verblüfft, als sie den CSU-General im Wahlkampfjahr näher kennenlernten. Sie hatten lange auch gedacht, der Mann mit den starken Sprüchen sei bloß ein Sprücheklopfer.

In einem kleinen Kreis ist auch die Idee mit der Maut herangereift. Im Hotel „Alpenhof“ in Murnau, fein, aber unauffällig gelegen, hat sich im Wahljahr 2013 oft eine verschwiegene Runde getroffen, um die zwei Wahlkämpfe für das Land und den Bund zu planen. Seehofer war dabei, Dobrindt, ein paar pfiffige Köpfe aus der Parteizentrale und der eine oder andere Altvordere, den die Republik schon vergessen hat, die CSU aber nicht.

Den Neid zur Frage der Gerechtigkeit erklären

Seehofer und die Altvorderen haben ihr Bauchgefühl befragt danach, was bei den Bayern wohl ankommen würde, und der gelernte Soziologe Dobrindt zusätzlich seine Statistiken und Umfragen. Heraus kam die Maut. Auf nichts können Politiker zuverlässiger bauen als auf den kleinen Neid der Leute. Sie müssen den Neid nur politisch korrekt zur Frage der Gerechtigkeit erklären. Wer aus Bayern urlaubshalber mit dem Auto die Grenzen überschreitet, tut das meist südwärts und muss zahlen. Österreicher rollen kostenlos auf den ewig verstopften Autobahnen von Salzburg und Innsbruck gen München. Auch sonst steht der „Ösi“ in der volkstümlichen Beliebtheitsskala noch unter dem Preußen. Ein Wahlkampfhit also.

Das Lästige daran ist nur, dass man das Versprechen hinterher umsetzen muss. Dass das Dobrindts Job werden würde, war von Anfang an klar. Für den Organisator des Wahlkampfs, der Horst Seehofer die absolute CSU-Mehrheit zurückbrachte, war ein Berliner Ministeramt die logische Belohnung. Dafür musste Peter Ramsauer das beneidenswert großzügige Eckzimmer in der früheren preußischen Bergakademie räumen. Ramsauer hatte als Minister passiven Widerstand gegen die Maut geleistet. Seit seinem Hinauswurf wütet er aktiv gegen alles, was nach Seehofer aussieht. Als Dobrindt im Sommer die Eckpunkte seines Konzepts vorstellte, war der Oberbayer zur Stelle: Das stehe so nicht im Koalitionsvertrag!

{Aus dem Wahlkampfwerkzeug wurde ein Foltergerät}

Nun erträgt die CSU solche zornigen Abweichler ganz gut. Sie tragen ja sogar dazu bei, die Quasi-Staatspartei für nicht durchwegs linientreue Wähler erträglich zu machen. Aber in diesem Fall haben die Invektiven aus den eigenen Reihen dazu beigetragen, ein Problem an der Maut offenzulegen, das auf den ersten Blick nicht sichtbar war: Das geniale Wahlkampfwerkzeug erwies sich zusehends als Foltergerät für die CSU. Es zeigt ihre Schwäche auf in Zeiten der großen Koalition.

Richtig überraschend ist das nicht, aber überraschend deutlich. Merkel hatte im Wahlkampf versichert, dass es mit ihr keine Maut geben werde – auch wenn das bekanntlich keine freiwillige Festlegung war: Die CDU-Chefin geriet im Fernsehduell gegen Peer Steinbrück in die Enge und floh versehentlich nach vorn. In den Koalitionsverhandlungen gab sie Seehofer nach, der CSU-Chef hatte ja sonst auch nichts auf dem Wunschzettel. Aber der Protest ihrer Stellvertreter aus NRW und Rheinland- Pfalz, Armin Laschet und Julia Klöckner, dröhnte den Bayern noch aus den Nachrichten entgegen, als sie schon die Vertragsdetails formulierten.

Merkel findet Dobrindt immer noch okay

Merkel hat ihre Landeschefs gewähren lassen. Ihr Bekenntnisse zur Koalitionstreue beschränkten sich auf das Minimum: „Die Maut wird kommen.“ Intern allerdings hat sie, wenn man die Hinweise aus Präsidiumssitzungen und anderen Runden zusammennimmt, stets deutlich gemacht, dass das kein Lippenbekenntnis ist. Als ihr alter Vertrauter Peter Hintze in der NRW-Landesgruppe einen förmlichen Beschluss gegen die Maut fassen lassen wollte, hat sie versucht, ihn von einer Festlegung abzubringen, die hinterher womöglich schwer rückgängig zu machen wäre. Merkel weiß: Eine Maut, die an etwas anderem scheitert als an sich selbst, kann die Union sprengen und die Koalition gleich mit.

Außerdem findet sie Dobrindt immer noch okay. Zumal, seit der nachgegeben hat. Als der Minister vorige Woche seinen Gesetzentwurf fertig hatte, hat sich die CDU-Chefin eigens bei den Kritikern erkundigt, ob die jetzt nicht, bitte, einverstanden sein könnten.

Sie waren es bekanntlich. Dobrindt hat Laschet, Klöckner und Hintze in seinem Ministerium den Gesetzentwurf persönlich erläutert und dem terminlich verhinderten Baden-Württemberger Thomas Strobl am Telefon. Nicht direkt eingeplant hatte er, dass die Nordlichter sofort im Triumph hinausposaunten, was in dem bis dahin geheim gehaltenen Entwurf steht. Aber der zweite, der neben sich selbst stehende Dobrindt kann natürlich zugleich den Vorteil darin erkennen, wenn es die Kritiker sind, die seinen Plan als gut vertretbar verbreiten.

Der Senf aus den eigenen Reihen

Freilich war der Weg dahin politisch teuer. Dobrindts erster Mautplan, im Juli vorgelegt, sah eine Pkw-Maut auf allen deutschen Straßen vor. Dahinter steckte ein Kalkül. Geld macht sinnlich, vor allem, wenn man keins hat. Viele SPD-regierte Länder haben keins, NRW vorweg. Sie hätten von Mauteinnahmen profitiert. Und als netter Nebeneffekt wäre der Wegezoll vom kleinlichen CSU-Projekt zum parteiübergreifend getragenen Nationalvorhaben geworden.

Es war nicht Ramsauer, der die entscheidende Schwachstelle dieses Plans entdeckte. Es hätte auch nicht der Wortmeldung des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann bedurft. Herrmann war bei Besuchen in Grenzregionen auf treue CSU-Anhänger getroffen, denen diese Maut Kopfzerbrechen verursacht, weil sie den „Ösi“ an sich zwar weiterhin wenig schätzen, als Ausflügler und Einkäufer aber schon.

Seehofer muss vor Wut fast geplatzt sein, als sein eigener Minister freie Fahrt in Grenzgebieten forderte. Es sei nicht notwendig, dass irgendwer „seinen Senf dazugibt“, fluchte der CSU-Chef.

{Nach Art des bayerischen Löwen}

Aber zu dem Zeitpunkt waren Laschet und Klöckner längst selber darauf gekommen. Bis dahin hatten sie nur vor einer Rache-Maut der Niederländer oder Belgier gewarnt. Das ließ Dobrindt kalt. Die Niederländer haben 2011 einen schon beschlossenen Mautplan zu den Akten gelegt – als politisch nicht durchsetzbar. Doch nun machten Handelskammern und Tourismusmanager von Ostfriesland bis ins Rheintal im Namen des „kleinen Grenzverkehrs“ mobil.

Seehofer hat ein letztes Mal versucht, nach Art des bayerischen Löwen die Kritiker niederzubrüllen. Das war, als ruchbar wurde, dass der Finanzminister Wolfgang Schäuble noch ganz andere Mautpläne hegte, solche, bei denen auch die Bundesbürger Wegezoll zahlen müssten. Der CSU-Chef drohte mit dem „Ende der Schonzeit“ nach den Landtagswahlen in Ostdeutschland. Merkel ließ ihn abtropfen: Die Maut werde kommen, aber Diskussionen seien erlaubt.

Synchronschwimmer von Amts wegen

Ob Dobrindt zu dem Zeitpunkt erkannt hat, dass er würde nachgeben müssen? Zurück zur reinen Autobahnmaut, so wie im Wahlkampf angekündigt? Weil ein Gefecht auf Biegen und Brechen womöglich nicht die CDU verlieren würde? Er ist im Gefüge der CSU immer als Seehoferaner wahrgenommen worden, schon bevor er als General von Amts wegen zum „Synchronschwimmer“ wurde – eine treffende Selbstbeschreibung. Auch danach hat er sich als Sachwalter des Chefs porträtieren lassen, als einer, der in München gezeigt hat, wie man siegt, und jetzt die Berliner Christsozialen Mores lehrt.

Die Koordinationsrunde der drei CSU-Minister, die er damals eingerichtet hat, gibt es immer noch. Sie gilt als nützlich, aber nicht kriegsentscheidend, zumal Dobrindt meist zu spät kommt und CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt gelegentlich einfach schwänzt.

Datenschützer entdecken neue Angriffspunkte

Dies ist eben doch die Geschichte eines ziemlich einsamen Mannes. Niemand hat ihn gelobt. Er wird den Rest des Kampfes alleine kämpfen müssen. Noch ist nicht endgültig entschieden, ob die EU-Kommission mitmacht bei der Scharade, dass die Kfz-Steuer in Deutschland in just dem Moment sinkt, in dem eine Autobahnmaut in gleicher Höhe in Kraft tritt. Datenschützer entdecken gerade neue Angriffspunkte: Droht da eine Vorratsdatenspeicherung für Autofahrer?

Kritiker wollen recht behalten. Sie werden noch in einem fertigen Quadrat nach Dellen suchen. Dafür, dass es auf ihn einprasselt, wirkt Dobrindt immer noch ziemlich gelassen. Wahrscheinlich ist er im Geiste Generalsekretär geblieben: Abgerechnet wird am Schluss, Haltungsnoten zwischendurch sind nicht so wichtig. Und Hauptsache, die Leute bleiben auf seiner Seite. Wenn sein zweites Ich die Daten richtig deutet, scheint das bisher jedenfalls zu funktionieren.

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