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Politik: Doch Pleite geh’n wir nicht Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Unaufhaltsam rückt die Entscheidung näher, die Berlin für eine Schicksalsfrage hält: das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, ob sich das Land, das auch deutsche Hauptstadt ist, in einer extremen Haushaltsnotlage befindet. Wenn es so ist, wäre der Bund verpflichtet, Hilfe zu leisten, in harter Währung.

Unaufhaltsam rückt die Entscheidung näher, die Berlin für eine Schicksalsfrage hält: das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, ob sich das Land, das auch deutsche Hauptstadt ist, in einer extremen Haushaltsnotlage befindet. Wenn es so ist, wäre der Bund verpflichtet, Hilfe zu leisten, in harter Währung. Was für ein schöner Traum: Nach dem Urteil erhält Klaus Wowereit einen Verrechnungsscheck über 35 Milliarden Euro, und der Schuldenberg, der das Rote Rathaus verschattet, fällt krachend in sich zusammen.

Nichts dergleichen wird geschehen. Schon die mündliche Verhandlung in Karlsruhe, mit der im Sommer zu rechnen ist, wird eine ungemütliche Veranstaltung. Der Bund und mindestens zehn Bundesländer werden den Richtern sagen, dass die Hauptstadt schon jetzt genug Geld bekommt. Diese Allianz gegen Berlin geht quer durch alle Parteien, ist im Osten und Westen, Norden und Süden zuhause. Selbst Hamburg hat hier die Solidarität der Stadtstaaten aufgegeben.

Wir haben trotzdem Recht, sagt der Berliner Senat – und wollen uns dieses gute Recht von den Verfassungsrichtern bestätigen lassen. Dass es anders kommen könnte, werden Wowereit und Finanzsenator Thilo Sarrazin bis zum Urteilsspruch beharrlich leugnen, selbst unter Folterandrohung. Das müssen sie auch. Was wäre eine Klage wert, die der Kläger schon vor der Gerichtsverhandlung in Zweifel zieht? Trotzdem droht Unheil. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit haben die Prozessgegner eine starke Verteidigungslinie aufgebaut. Juristischer NatoDraht, schwer überwindbar.

Argument 1: Berlin habe seine finanzielle Notlage selbst verschuldet, zu spät erkannt und dann zu lange gewartet, bis es halbherzige Gegenmaßnahmen ergriff. Nach allen Erfahrungen müsse man damit rechnen, dass auch neue Bundeshilfen leichtsinnig zweckentfremdet werden, statt das Land zu entschulden.

Argument 2: Berlin könne sich nicht auf die Entscheidung von 1992 berufen, als das Bundesverfassungsgericht die Haushaltsnotlage Bremens und des Saarlands anerkannt hatte. Die Finanzkrise, damals ein regional begrenzter Ausnahmezustand, habe inzwischen ganz Deutschland in Mitleidenschaft gezogen. Mit der Übernahme eines Großteils der Berliner Schulden wäre die bundesstaatliche Gemeinschaft überfordert.

Argument 3: Die Sanierungshilfen für Bremen und das Saarland (bis 2004 mehr als 15 Milliarden Euro) haben beiden Ländern nicht aus der Schuldenfalle geholfen. Inzwischen gehe es auch den ostdeutschen Ländern – mit Ausnahme Sachsens – so schlecht, dass nach einem Urteil zugunsten Berlins mindestens ein halbes Dutzend Notstands-Kandidaten am Verhandlungstisch mit dem Bund sitzen werden. Wer soll das bezahlen, ohne den wirtschaftlich einigermaßen gesunden Teil Deutschlands zugrunde zu richten?

Der Bund ist sogar der Meinung, dass die Klage Berlins nicht nach Karlsruhe gehöre, sondern vor das Bundesverwaltungsgericht. Verfassungsnormen seien nicht zu klären, höchstens deren Anwendung. Der Senat hat mit großer Sorgfalt juristische Gegenpositionen entwickelt. Ein glatter Durchmarsch vor dem Bundesverfassungsgericht wäre für Rot-Rot in Berlin auch eine wunderbare Wahlkampfhilfe. Aber der hohe Verrechnungsscheck wird wohl ein Traum bleiben. Juristen liefern zwar die Lösung der Finanzprobleme, die sich aus ihren Urteilen ergeben, selten mit, aber in diesem Verfahren werden sich die Richter nicht an den finanz- und wirtschaftspolitischen Realitäten vorbeimogeln können.

Die Prüfung der Grundgesetzvorgaben wird die heutige Umverteilung zweistelliger Milliardenbeträge im bundesstaatlichen Finanzausgleich insgesamt in Frage stellen. Die Richter könnten sich gezwungen sehen, die föderale Finanzverfassung mit neuen Rechtsmaßstäben zu stabilisieren. Berlin würde das nur begrenzt weiterhelfen. Die Stadt geht zwar bei einer juristischen Niederlage nicht Pleite, es liegt ja eine mittelfristige Finanzplanung bis 2009 vor, die ohne neue direkte Bundesbeihilfen auskommt. Berlin bliebe jedoch arm und verschuldet und müsste sich aus eigener Kraft sanieren – ohne Heilserwartungen an den Bund.

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