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Doktoren des Volkes: Schadet der Fall Guttenberg dem Ansehen des Bundestags?

Hoch qualifiziert oder Hochstapelei: Unter den Bundestagsabgeordneten sitzen 105 Doktoren.

Berlin - Dr. Klaus Rose saß von 1977 bis 2005 im Deutschen Bundestag, 16 Jahre davon im Haushaltsausschuss, er war Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium unter Volker Rühe. Doch noch heute als Pensionär trägt er eine „Wunde“, wie er sagt. Jetzt, wo der Fall Guttenberg das Land beherrscht, schmerzt sie wieder.

Rose scheiterte 2005 im Kampf um ein Direktmandat gegen einen jungen CSU-Abgeordneten – der ebenfalls einen Doktortitel trug und ihn im Wahlkampf benutzte. Wie sich nach einem Ermittlungsverfahren herausstellte, durfte der junge Politiker, dessen Doktorarbeit zurzeit wie rund 30 andere Arbeiten von Bundespolitikern von der Internetinitiative PlagiPedi geprüft wird, diesen Titel nicht tragen. Es war ein Doktor, im Ausland erworben, der aber in Bayern nicht anerkannt wurde und korrekt hätte als „PhDr“ und nicht als „Dr“ angegeben werden müssen. „Das Weglassen des Zusatzes ,Ph’ war nach damaliger Rechtslage in Bayern nicht zulässig“, teilte die zuständige Staatsanwaltschaft dem Tagesspiegel mit. Der „kleine Doktor“ ist heute Parlamentarischer Staatssekretär in einem Bundesministerium. Rose, der in Vilshofen wohnt, sagt: „Es gibt junge Leute, die mehr sein wollen als sie sind. Und so versuchen sie es mit Hochstapelei.“ So sei Politik, sagt Rose. „Wie das richtige Leben.“

Ist der Fall Guttenberg, der juristisch noch nicht zu Ende ist, kein Einzelfall? Wird er das Image der Politik weiter beschädigen? In der aktuellen Wahlperiode finden sich im Bundestag 105 Doktoren unter 622 Abgeordneten. 35 sind in der CDU, 11 in der CSU, 19 in der SPD, 21 in der FDP, 8 bei den Grünen und 11 bei den Linken. 431 Abgeordnete haben einen Universitätsabschluss, 35 haben eine Hochschule besucht und keinen Abschluss gemacht. Wer sich durch die Biografien wühlt, der trifft auf hochqualifizierte, meistens bereits in honorigen Berufen stehende Vertreter des Volkes: Juristen, Wirtschaftsprüfer, Ingenieure, aber auch Veterinäre, Lehrer oder Ärzte. Guttenberg ist zwar von adligem Geblüt und finanziell unabhängig, doch einen erlernten Beruf hat er nicht.

Die prominenten Mitglieder des Bundestags, wie etwa Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) oder Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), sind fast alle promoviert. Der neue Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) schrieb zum Thema: „Die Praxis der informellen Verfahren beim Bundeskartellamt: Darstellung und rechtliche Würdigung eines verborgenen Vorgehens.“

Einer der Hochqualifizierten heißt Karl Lauterbach, korrekter Prof. Dr. med. Dr. sc., doch Lauterbach legt eigentlich wenig Wert auf seine Titel. Der SPD-Gesundheitsexperte bekommt zurzeit öfter Post von interessierter Seite zugeschickt – mit Doktorarbeiten vom politischen Gegner. Er soll sie nach Plagiaten durchgehen. Lauterbach sagt: „Ich warne davor, dass wir jetzt eine Diskussion darüber führen, wie gut oder schlecht Doktorarbeiten von Politikern sind. Ich werde keine dieser Arbeiten prüfen. Das mache ich nicht, das ist unlauter.“ Den SPD-Politiker macht die Diskussion um Guttenberg wütend: „Es wäre verheerend, wenn die Menschen den Eindruck behalten, im Bundestag laufen lauter Guttenbergs herum. Ich betreue seit 1997 Doktorarbeiten, eine wie die von Guttenberg ist die totale Ausnahme, weil die Energie zum Täuschen so groß war.“

So sieht es auch der FDP-Politiker Hermann Otto Solms, der zur Gattung Politiker gehört, die ihren Doktor- und übrigens auch ihren Adelstitel nicht unbedingt von sich aus erwähnen. Für Solms ist Guttenberg „ein Einzelfall“. Jeder, der seinen Doktor sauber gemacht habe, habe doch nichts zu befürchten. Allerdings sieht er eine „gewisse Berufserfahrung“ als hilfreich an für die Arbeit eines Abgeordneten. Lauterbach sagt es deutlicher: „Ich sehe das Problem, dass einige Abgeordnete direkt von der Uni in den Bundestag kommen und keine relevante berufliche Qualifikation mitbringen.“

Auch Heinz Riesenhuber, Prof. Dr., derzeitiger Alterspräsident im Bundestag, sieht die Arbeit der Abgeordneten nicht diskreditiert durch Guttenberg. Der CDU-Politiker und ehemalige Forschungsminister sagt: „Nach allen Umfragen hat Herr zu Guttenberg der Politik Glanz und Ansehen hinzugewonnen, die Affäre ist am schlimmsten für ihn selbst. An unserem guten Ruf muss jeder von uns selbst arbeiten.“

Für den Politikpsychologen Thomas Kliche von der Uni Hamburg ist der „Doktor ein Mythos, man denkt unwillkürlich an den weißen Kittel. Dabei sind heutzutage gerade medizinische Dissertationen oft von erschreckend niedrigem Niveau. Je weniger Ahnung und Urteilsvermögen die Menschen haben und je mehr Windbeutel unterwegs sind, desto mehr klammert die Gesellschaft sich an kulturelles Kapital. Das sind Investitionen in individuelle Bildung und Sozialstatus. Das kann man übertragen und Vertrauen wecken. In seinem Fachgebiet kann ein Experte auch ohne Doktor sehr anerkannt sein, aber beim Empfang im Hotel oder bei den Nachbarn ist nur so ein Titel vorzeigbar, nicht wirkliches Fachwissen.“

Vielleicht war das die Motivation bei Klaus Roses jungem „Konkurrenten“. Der Doktortitel sollte helfen, nach außen als qualifiziert zu erscheinen. Denn in seinem einst angestrebten Beruf, Lehrer an der Realschule, hatte der CSU-Aufsteiger nie gearbeitet. Rose selbst hatte die Doktorarbeit auf Bitten des Neulings sogar gelesen und war vom Inhalt wenig angetan: „Ich habe ihm gesagt, dass ich inhaltlich gar nichts zu dieser Arbeit sagen werde. Ich habe ihm dann die Rechtschreibfehler korrigiert.“ Zudem fand Rose heraus, dass sein Parteifreund an seiner Universität in Bayern aufgrund der Note der Abschlussarbeit gar nicht hätte promovieren dürfen. Und so musste der Weg übers Ausland den Titel bringen. Innerhalb eines Jahres. Das Ermittlungsverfahren gegen ihn wurde wegen Geringfügigkeit eingestellt.

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