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Politik: Doppelte Niederlage

Die Reformer in Iran haben die Wahl verloren – und auch ihr Boykott-Aufruf war weniger erfolgreich als erhofft

Teheran. Der Wahlsieg für die Konservativen in Iran kam alles andere als überraschend. Fast alle renommierten Reformpolitiker waren bereits vor der Wahl vom konservativen Klerus ausgeschlossen worden. Darum galt das Hauptinteresse der Wahlbeteiligung. Trotz Propaganda blieben landesweit etwa die Hälfte der Wahlberechtigten den Urnen fern, in der Hauptstadt Teheran sogar über 70 Prozent, wie das Innenministerium einräumte. Damit hätten sie gegen die Konservativen gestimmt, sagt der reformorientierte Abgeordnete Ali Sachkuri-Rad.

„Das Establishment ist mit einem blauen Auge davongekommen, denn für dessen Legitimität ist die 50-Prozent-Grenze gerade noch akzeptabel“, meint ein Politologe an der Beheschti-Universität in Teheran. „Aber das politische Herz schlägt in Teheran, und eine Wahlbeteiligung von 28 Prozent sollte von der Regierung schon als Warnsignal ernst genommen werden“, meint der Politikwissenschaftler, der nicht mit Namen genannt werden will. Bei der Wahl vor vier Jahren hatte die Beteiligung etwa 20 Prozentpunkte höher gelegen. Die Begeisterung im Volk für den Reformkurs von Präsident Mohammad Chatami war damals noch groß.

„Die 20 Prozent sind nicht nur dem Establishment, sondern auch Chatami und seinen Reformern weggelaufen“, sagt ein westlicher Diplomat in Teheran. „Die wären auch bei einer Teilnahme der Reformer nicht gekommen“, fügt der Diplomat hinzu und widerspricht damit den Reformern, die die Nichtwähler als ihre Anhänger reklamieren.

Dass sich der Protest auch gegen die Reformer richtete, spiegelt sich im Wahlbezirk Teheran mit seien 30 Mandaten wider. Dort kam die zweite Garde der Reformer mit Kandidaten wie Mehdi Karrubi, immerhin amtierender Parlamentspräsident und einer der engsten Vertrauten Chatamis, nicht mal unter die ersten 30. Die anderen Reformer landeten weit abgeschlagen auf den hinteren Plätzen, können aber bei den Stichwahlen noch mal ihr Glück versuchen.

Die neue Legislaturperiode wird von Abadgaran, der Partei der Gestalter eines islamischen Iran, dominiert werden. „Das sind Konservative, keine Hardliner“, sagt der Politikwissenschaftler. Der Spitzenkandidat von Abadgaran, Gholam-Ali Hadad Adel, hat versprochen, sowohl die Rechte der Menschen als auch den islamischen Rahmen der Republik zu respektieren. Dennoch glauben Beobachter, dass die neue konservative Fraktion in Fragen wie freie Presse, Frauen- und Familienrechte weniger Toleranz aufbringen wird als die Reformer.

Der religiöse Wächterrat hat bereits mitgeteilt, nach dem Ausscheiden der meisten Reformer werde das Parlament eine Neuausrichtung vornehmen und sich „künftig auf die Stärkung des Islam, die Lösung der Probleme des Volkes und die Durchsetzung von Glaube und Moral im öffentlichen Leben konzentrieren“. Die Wahl sei ein „neues Kapitel in der Geschichte“ des Landes, das neue Parlament werde sich „von religiöser Überzeugung leiten lassen“. Was das genau heißt, werden die nächsten Monate zeigen. Zumindest Auswirkungen auf die Außenpolitik erwarten Diplomaten nicht.

Alle wichtigen außenpolitischen Entscheidungen der letzten Zeit wurden von Konservativen getroffen. Beim Nuklearabkommen mit der EU war der renommierte Konservative Hassan Rowhani Gesprächspartner der EU. Gespräche mit amerikanischen Senatoren in Washington führte der konservative Diplomat Mohammad- Dschawad Sarif. „Beziehungen zu Amerika sind doch nicht wie Weintrinken eine Sünde“, sagt Ahmed Tawakoli, wie Adel ein Mitglied der Partei Abadgaran.

Farshid Motahari (dpa)

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