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Politik: Doppeltes Recht

Von Jost Müller-Neuhof Reden und Handeln sind eben zwei verschiedene Dinge. So zumindest sehen die Amerikaner zurzeit den Umgang der Europäer mit dem Internationalen Strafgerichtshof.

Von Jost Müller-Neuhof

Reden und Handeln sind eben zwei verschiedene Dinge. So zumindest sehen die Amerikaner zurzeit den Umgang der Europäer mit dem Internationalen Strafgerichtshof. Die „Washington Post“ enthüllte am Donnerstag ein brisantes Detail. Die Bündnispartner hatten demnach mit der afghanischen Übergangsregierung vereinbart, Soldaten ihrer Truppen dem Zugriff der internationalen Justiz entziehen zu können. Gleichzeitig streiten die Europäer darüber mit den USA. Denn die blockieren den Gerichtshof und drohen, Friedensmissionen zu boykottieren, sollte ihren Soldaten keine Immunität zugesichert werden. Einen „double standard“, eine Art Doppelmoral, nannte dies ein US-Offizieller in der „Washington Post“.

Ist es das wirklich? EU-Diplomaten gaben sich empört. Ein Vergleich mit der Verweigerungshaltung der USA sei „lächerlich“. Europa werde das Weltstrafgericht selbstverständlich respektieren, schließlich habe es sich vehement dafür eingesetzt.

Stellvertretend für die 19 Isaf-Nationen in Kabul hatte die britische Regierung einen Zusatz in ein umfangreiches Abkommen aufgenommen, das die technisch-militärische Zusammenarbeit regeln soll. Dort heißt es wörtlich: Die Übergangsregierung ist einverstanden, dass Isaf-Soldaten nur an ein internationales Gericht überstellt werden dürfen, wenn der Entsendestaat ausdrücklich zustimmt. Das Auswärtige Amt sieht darin keinen Widerspruch zu seiner Position in Sachen Strafgerichtshof. „Schließlich kann das betreffende Land der Auslieferung zustimmen“, sagt eine Sprecherin. Zudem sei der Gerichtshof nur zuständig, wenn der Entsendestaat die Strafverfolgung unterlässt.

Die „Washington Post“ zitiert einen europäischen UN-Diplomaten mit den Worten, das Abkommen mit der Kabuler Administration sei in großer Hast und ohne breite öffentliche Debatte zustande gekommen. Das allerdings erklärt noch nicht den Grund für den umstrittenen Annex. Zwar ist er dem Wortlaut nach nicht eindeutig auf den Internationalen Strafgerichtshof gemünzt. Außerdem war im Januar noch nicht absehbar, dass die nötige Ratifikation des Gründungsstatuts so zeitig geschehen würde. Doch andererseits bestehen wenig Zweifel, dass sich eine Isaf-Nation, die einen Prozess gegen einen ihrer Soldaten verweigert und ihn vor einer Anklage in Den Haag schützen will, auf den Passus berufen kann. Fast alle der teilnehmenden Nationen verlören dann ihr Gesicht: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Griechenland, Italien, Neuseeland, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Spanien, Schweden – sie alle haben das Statut ratifiziert.

Fehlt nur ein Land, und ausgerechnet dies hat nun von den Briten das Isaf-Kommando in Afghanistan übernommen: die Türkei. Sie hat das Statut gar nicht erst unterzeichnet, weil das Vorhaben „noch nicht reif“ ist, wie aus der türkischen Botschaft in Berlin verlautet. So erscheint zumindest möglich, dass der Zusatz auch mit Rücksicht auf eine Teilnahme der Türkei an der Mission in das Kabuler Abkommen gelangte. Offizielle Stellungnahmen gibt es nicht. „Ausgeschlossen“, heißt es zumindest aus der Botschaft.

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