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Politik: Dr. Seltsam aus Pjöngjang

Von Ruth Ciesinger

Nordkorea ist ein großes Rätsel – und gerade das macht die Nuklearkrise in Fernost so gefährlich. Weil sich das stalinistische Regime seit Jahrzehnten hermetisch abschottet, kann niemand sagen, wie weit Pjöngjang wirklich zu gehen bereit und in der Lage ist. Zwar besitzt das Land mit großer Wahrscheinlichkeit genügend nukleares Material für einige Sprengköpfe. Aber ob es, wie angekündigt, jetzt einen Atomtest durchführen und damit seinen Status als Atommacht beweisen kann und wird, ist schon wieder völlig ungewiss. Denn das wäre auch für Nordkorea riskant: Japan könnte sich ebenfalls nuklear bewaffnen, und Pjöngjang wäre in der Gefahr, es sich deshalb nachhaltig mit seinem großen Bruder und Beschützer Peking zu verderben. Das wäre für das bitterarme Land, das auf Energiehilfen und Investitionen aus China angewiesen ist, eine Katastrophe. Zudem sind die nordkoreanischen Drohungen – wie zuletzt der missglückte Raketentest im Juli – offenbar darauf angelegt, die USA zu direkten Gesprächen zu zwingen.

Unter der Regierung von Bill Clinton hatte es so ausgesehen, als könne man sich im Streit um das Atomprogramm des Landes annähern. Das 1994 ausgehandelte Genfer Rahmenabkommen sah Heizöllieferungen und Leichtwasserreaktoren für Pjöngjang vor, sowie die Aussicht auf einen Friedensvertrag mit den USA in der ferneren Zukunft. Nordkorea dagegen sollte Abstand von seinen Atomplänen nehmen. Letztlich aber hielten sich beide Seiten nicht daran, der US-Kongress blockierte das Abkommen, Nordkorea wiederum reicherte heimlich Uran an. Die Regierung von George W. Bush wollte mit dem „Schurkenstaat“ gar nicht erst reden.

Inzwischen ist das gegenseitige Misstrauen in Pjöngjang wie Washington riesig. Zwar wird die Krise wohl nicht militärisch gelöst. Bei einem US-Angriff hätten 1,1 Millionen nordkoreanische Soldaten immer noch Zeit, im Süden ein Blutbad anzurichten, zudem hat China seinen Verteidigungspakt mit dem Norden aus dem Koreakrieg nie aufgelöst. Doch die Chance, dass die USA ihre finanziellen Sanktionen aufheben und Nordkorea einen Zugang zu den Weltmärkten und Krediten geben, tendiert derzeit ebenfalls gegen null. Das aber wäre Pjöngjangs Bedingung, um wieder zu verhandeln.

An dieser Blockade wird sich wohl nichts ändern, solange in Washington Bush und Vizepräsident Dick Cheney regieren. Es kommt auf China an, Pjöngjang zu mäßigen und zu vermitteln. Auch im eigenen Interesse: Peking liegt viel an einem stabilen Pufferstaat zwischen der eigenen Grenze und dem mit den USA verbündeten Südkorea.

Letztlich aber helfen nur neue Gespräche. Zwar ist die Diktatur von Kim Jong Il neben der Terrorherrschaft von Pol Pot und den Roten Khmer in Kambodscha das schlimmste Regime, das Asien im vergangenen Jahrhundert hervorgebracht hat. 23 Millionen Menschen leben zum allergrößten Teil in tiefster Armut, werden schon als Kleinkinder in Krippen und Kindergärten von der Staatsmacht indoktriniert, die viele von ihnen später in Gulags knechtet und ermordet. Doch die Politik des „Aushungerns“ hat gegenüber dem Regime nicht funktioniert. Angesichts der nuklearen Bedrohung ist es die Aufgabe der Diplomatie, das Mögliche zu schaffen und die Risiken zu begrenzen. Auch wenn das Zugeständnisse an einen Diktator bedeutet, und wohl nie völlige Sicherheit bringen kann. Denn Nordkorea wird immer eine Hand an der Bombe behalten – als Überlebensversicherung.

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