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Dreikönigstreffen der FDP: Letzter Vorhang für Guido Westerwelle

Er weiß es. Aber er lässt niemanden sehen, dass er es weiß. Dieser Auftritt könnte das Ende der Ära Westerwelle sein. Der FDP-Chef läuft noch einmal zu alter Form auf und versucht, Mut zu machen. Doch währenddessen bringen sich schon die Nachfolger in Stellung.

Von Antje Sirleschtov

Dies ist die Geschichte eines großen Theaters. Ort der Aufführung: das Staatstheater in Stuttgart. In der FDP nennen sie es das „Dreikönigstreffen“. Sie behaupten, es sei eine kraftvolle Kundgebung ihrer Partei zum Auftakt dieses Superwahljahres 2011. Und auf den ersten Blick sieht es auch so aus, als ginge es hier wirklich um Politik.

Doch das täuscht. Wer genau hinsieht, erkennt die Komödie, bittersüß und tragikomisch zugleich. Der Stoff: Der älteste der Welt, Macht. Und natürlich steht im Zentrum ein Held. Bald zwei Jahrzehnte hat Guido Westerwelle die Zuschauer mit seinem politischen Bühnenspiel fasziniert, war unangefochten der strahlende Superstar der eigenen Compagnie. Doch nun scheint der Held am Ende seines Ruhmes angelangt. Nun singt er vorn auf der Bühne noch einmal das Hohelied der Freiheit – zum Applaus derer, die ihn eigentlich schon loswerden wollen. Hinter den Kulissen, da buhlen derweil schon Nachfolger um seinen Posten. Vorhang auf.

Guido Westerwelle betritt die Bühne an diesem 6. Januar gegen Mittag. Der FDP-Vorsitzende hat sich zu Weihnachten ein paar Tage im Süden erholt. Er sieht wohl aus, strahlt abwechselnd nach rechts und links, winkt mit der großen Geste eines Staatsmannes ins Publikum. Voll Kraft und Tatendrang und auch voll Optimismus sei er. Sagt er – und schmettert seinem Publikum einen lauten Appell zum Durchhalten entgegen.

Ja, es stimme, dass die Stimmung nicht gut und die Umfragewerte schlecht seien. Doch „wer führen will, der muss Durststrecken überstehen“. Und schließlich stehe die FDP nicht mit leeren Händen da. Von der Erhöhung des Kindergeldes über die Erneuerung der Erbschaftssteuer bis zur Aussetzung der Wehrpflicht. Vieles von dem, was seine Partei einst versprochen habe, sei umgesetzt. „Vielleicht nicht genug, das stimmt“, sagt Westerwelle und verspricht, künftig nicht mehr so viel über „mehr Netto vom Brutto“ zu sprechen. „Doch ein Anfang“, sagt er, „der ist gemacht, die Richtung stimmt.“

Es ist ein letzter Versuch des Parteivorsitzenden, die eigenen Leute davon zu überzeugen, dass unter seiner Führung in Berlin 2010 nicht nur Fehler gemacht wurden, für die man sich jetzt in den Wahlkämpfen schämen muss. Mut machen will Westerwelle auch sich selbst. Schließlich weiß er, dass dieser Auftritt sein letzter sein könnte. Wenn Hamburg, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg verloren gehen und in Hessen auch die nahen Kommunalwahlen, dann wird es ein Scherbengericht über ihn geben. Er hat dann keine Chance mehr, beim Parteitag im Mai erneut zum FDP-Chef gewählt zu werden.

Er weiß es, aber er lässt niemanden sehen, dass er es weiß. Noch einmal läuft der Meister des scharfen Satzes zu alter Hochform auf. Er beschwört die Freiheit und die Bedeutung der Mittelschicht. Er ruft die FDP zur „Partei für das ganze Volk“ aus und zitiert dann noch manch anderen Satz, mit dem er 2009 über die Marktplätze reiste und zum erfolgreichsten FDP-Wahlkämpfer der Geschichte wurde. Es klingt wie eine Erinnerung an die guten alten Zeiten. Vielleicht die einzige Chance für einen besessenen Kämpfer, unbeschadet aus einer so schwierigen Lage herauszukommen. Wenigstens kämpfen muss er. Mag er am Ende auch die Stimmung nicht kippen können.

Keinen Moment der Schwäche leistet sich Westerwelle an diesem Tag. Jeder soll sehen: Er, Guido Westerwelle, und kein anderer ist die Nummer eins. Mögen sie hetzen, seine Widersacher in der Partei, in den Ortsvereinen. Mögen sie ihn als „Klotz am Bein der FDP“ schmähen und in Interviews sogar mit einem verbohrten SED-Parteikader vergleichen, der den Untergang der DDR nicht zur Kenntnis nehmen wollte: Er will es ihnen noch einmal zeigen.

Alle, wie sie da sitzen, die Präsidiumsmitglieder, die jungen Abgeordneten, auch der Spitzenkandidat aus Rheinland-Pfalz, Herbert Mertin, der ihn zum unerwünschten Wahlkämpfer in seinem Bundesland erklärt hat. Alle wollen sie ihn loswerden. Das Einzige, das sie vom Putsch zurückhält, ist die Angst davor, dass der Absturz der Partei in den Wahlen noch schlimmer wird. Deshalb klatschen sie artig in die Hände, wenn der Chef eine Gedankenpause macht. Ein vergifteter Applaus. Theater eben.

Westerwelle weiß das. Der Kampf um die Macht an der Spitze der FDP hat längst begonnen. Doch für ihn zählt allein das: Nur er selbst soll entscheiden, wann und wie er abtritt. „Wie ein Hund vom Hof gejagt“ werde er, hatte Wolfgang Gerhardt einst geschimpft, als ihn Westerwelle vor fünf Jahren endgültig von der Parteispitze vertrieb. So will er selbst auf keinen Fall gehen.

Zweifellos trägt kaum jemand in der Partei so viel Verantwortung wie er für den Niedergang der FDP seit ihrem triumphalen Ergebnis von fast 15 Prozent bei der Bundestagswahl 2009. Viel versprochen, kaum etwas gehalten. Und schlimmer: Statt sich listig und zurückhaltend in die Arithmetik einer Dreiparteien-Koalition einzufügen, ließ Westerwelle obendrein seinem Furor vollen Lauf. Erst proklamierte er vollmundig die „geistig-politische Wende“, dann warf er „spätrömische Dekadenz“ vor, wer sich um die Ärmsten der Armen im Land sorgt. So wurde der FDP-Vorsitzende binnen Jahresfrist in der eigenen Partei zur Unperson. Ein Grenzenloser im Regierungsamt.

Noch im Herbst hatte Westerwelle damit gerechnet, dass er nur etwas ruhiger treten und sich als arbeitsamer Außenminister präsentieren muss, damit die Umfragewerte wieder ansteigen. Doch so kam es nicht. Statt zu vergessen, wurde die Ahnung in der Partei immer mehr zur Gewissheit: Die Schuld dafür, dass sich Liberale in den Fußgängerzonen anpöbeln lassen müssen, liegt überwiegend in der Person ihres Vorsitzenden.

Nun liegen sieben Landtagswahlen und zwei Kommunalwahlen vor der FDP. Und glaubt man dem Trend, dann fliegt die Partei aus allen Landesparlamenten heraus. „So schlimm wird es wohl nicht“, wiegelt zwar ein baden-württemberger Parteigrande für sein Heimatland ab. Bei der nächsten Frage, der nämlich nach dem Erhalt der Regierungsbeteiligung im liberalen Stammland nach dem 27. März, da wird er allerdings schmallippiger. Wohlgemerkt: Hier im Ländle regieren CDU und FDP seit fast 15 Jahren ohne Unterbrechung. Eine Schmach für die ganze Partei, wenn das verloren geht.

Wie nah diese Schmach den Betroffenen selbst erscheint, das war an den Tagen vor Dreikönig im Stuttgarter Kongresszentrum zu sehen. Dort trafen sich die Delegierten des Landesparteitages, um ihren Spitzenkandidaten Ullrich Goll und ein 100 Seiten starkes Regierungsprogramm in den Wahlkampf zu schicken. Doch weder die müde Rede Golls noch das Programm vermochten die Abgesandten der einst so stolzen Südwest-FDP in Kampfes- oder gar Siegerlaune versetzen. Schwarz-Gelb in Baden-Württemberg? Es scheint, die FDP glaubt selbst nicht mehr recht daran.

Wenn die Liberalen das Blatt nicht noch einmal wenden können, dann wird jemand für den Schaden bezahlen müssen. Nicht nur in Stuttgart, auch in Berlin. „Abgerechnet wird Ende März“, droht einer aus der Führungsriege. Die baden-württembergische Landeschefin Birgit Homburger wird wohl ihren Hut nehmen müssen, wenn Schwarz-Gelb an der FDP scheitert. Auch als Chefin der Bundestagsfraktion.

Doch sie hätte nur eine Nebenrolle im Abrechnungsstück. Ein Blick ins Drehbuch zum letzten Akt. Da gibt es mehr als einen in der Führungsriege, der Regie führen will. Zunächst die, die alles, Ämter und Posten, Westerwelle zu verdanken haben. Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel ist einer von ihnen. Schon jetzt bekunden sie dem Chef dafür öffentlich die unbedingte Unterstützung. Sie werden bis zum Schluss an ihm festhalten.

Dann ist da der Wirtschaftsminister, Rainer Brüderle. Mit 65 gilt er zwar nicht gerade als Hoffnungsträger einer künftigen FDP. Doch er sieht sich als Personifizierung des Wirtschaftsliberalismus, den er zu verteidigen gedenkt. Eine Art Rettung der politischen Biografie, wenn Brüderle in Stuttgart dieser Tage vor einem „Säusel-Liberalismus“ gewarnt hat. Denn einen solchen sieht er heraufziehen, wenn die Macht in naher Zukunft nicht auf ihn und seine Generation, sondern auf die „Junge Garde“ übergeht.

Mit „Säuseln“ verspottet Brüderle den Versuch des 32-jährigen Generalsekretärs Christian Lindner, der FDP ein neues Grundsatzprogramm zu geben. Eines, mit weniger Steuersenkungen, dafür mit mehr „Liberalismus als Haltung in jeder Lebenslage“, wie er sagt. Dass Lindner die Anhänger genauso begeistern kann wie Westerwelle, sah man an diesem Donnerstag. Ohne donnernden Auftritt, dafür mit intellektuellen Argumenten. Ein Gegenmodell zu Westerwelles schrill-verletzendem Oberton, das Ende der Kälte vielleicht. Eine Gefahr auf jeden Fall für die alten Recken. Drei Tage vor Dreikönig hat er gemeinsam mit dem jungen Gesundheitsminister Philipp Rösler und dem Nordrhein-Westfalen Daniel Bahr einen eigenen „Neujahrsappell“ veröffentlicht. Das war die offizielle Anmeldung der „Jungen“ zur Machtübernahme. Und das Bekenntnis der nächsten Generation: Es gibt eine Alternative zu Westerwelle.

Doch auch der Vorsitzende selbst ist noch nicht aus dem Rennen. Kein Wort hat er darüber gesagt, ob er im Mai erneut als Parteivorsitzender kandidieren will. Hätte er es getan, so sein Kalkül, dann wäre das innerparteiliche Postengerangel weitergegangen. Über seine Zukunftspläne zu schweigen und den Landtagswahlkampf zur Aufgabe für alle Liberalen zu erklären erschien ihm schlauer. Geht es gut, wird niemand wagen, ihn aus dem Amt zu jagen. Und wenn nicht, dann ist er zumindest nicht allein schuld. „One month is a long time“, hat Westerwelle seine wichtigste Lehre in der Politik genannt. Schau nicht zurück, immer nach vorn. Wer weiß, vielleicht hat das Theaterstück ja noch eine Fortsetzung.

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