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Politik: Dringende Bitte

Die SPD erwartet von Fischer, dass er den politischen Schaden durch die Affäre wieder gut macht

Von Robert Birnbaum

Claudia Roth übt sich im Understatement. „Ich habe nie die Position geteilt, dass Joschka Fischer der liebe Gott ist“, sagt die Grünen-Kovorsitzende. Der liebe Gott gewiss nicht – aber es sind schon auffällig viele fromme Wünsche, mit denen sich führende Koalitionspolitiker an den Außenminister wenden. Dass Fischer sich bei seiner Vernehmung vor dem Visa-Ausschuss selbst ums Amt und die Regierung damit um ihren zweitwichtigsten Mann reden könnte, wagen im Ernst nicht einmal seine Ankläger zu hoffen. Aber die Erwartungen in der Koalition in diesen Auftritt gehen weit darüber hinaus, dass Fischer mit einem blauen Auge davonkommt. Speziell die SPD legt die Latte hoch: Von dem Obergrünen wird nichts weniger erwartet, als dass er den politischen Flurschaden wieder gutmacht, den die Affäre angerichtet hat.

SPD-Chef Franz Müntefering hat das am Wochenende ganz unverblümt formuliert: Er habe an Fischer die „dringende Bitte“ gerichtet, rasch Klarheit zu schaffen. Denn: „Die Affäre hat mehr unsere als die grünen Wähler verunsichert.“ Kein Zufall, dass Müntefering diese Sätze in der „Neuen Ruhr/Neuen Rhein Zeitung“ verbreitet hat, die in Essen erscheint und also mitten im Wahlkampfland Nordrhein-Westfalen. Die damals noch ziemlich frische Visa-Affäre hat die SPD nach ihrer eigenen Analyse um entscheidende Prozentpünktchen bei der Wahl in Schleswig-Holstein gebracht – das soll sich nicht wiederholen.

Auch der SPD-Obmann im Ausschuss, Olaf Scholz, ist mit Wunsch und Rat zur Hand. Fischer habe eine „gute Chance, die er nutzen muss“, sagt der Sozialdemokrat mit leicht dringlichem Unterton. Er müsse eine umfassende Darstellung geben, dürfe nicht beschönigen, aber auch nicht übertreiben. Und vor allem nicht das tun, was seine Beamten in den Vernehmungen ausgiebig getan haben: „Ich glaube nicht, dass der Außenminister Erinnerungslücken haben wird“, sagt Scholz. Nach dem Live-TV-Auftritt könne sich die SPD in NRW sicher besser auf den Wahlkampf konzentrieren.

Eine Aussicht, die der Opposition naturgemäß nicht passt. Ihr Obmann Eckart von Klaeden hat deshalb schon im Vorfeld die Erwartungen gedämpft: Mit einer dramatischen Gerichtsshow sei nicht zu rechnen, und auch wer auf sensationelle neue Aktenfunde rechne, werde enttäuscht sein: „Wir haben keine ,smoking gun’.“ Taktisch umso wichtiger für die Opposition, dass mit Fischers Auftritt die Sache nicht erledigt ist. Auch deshalb besteht von Klaeden darauf, dass der Minister nicht nur eine gute Figur fürs Fernsehen machen, sondern viele Fragen beantworten müsse. Und er wirbt vorher schon mal um Verständnis dafür, dass diese Fragen vielen nebensächlich scheinenden Details gelten werden: Auch dahinter könne sich ja etwas Interessantes verbergen – wie hinter der „24“ im Adventskalender.

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