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Europa ist noch immer ein wichtiger Markt für Drogenhändler.

© dpa

Drogenfund bei Volker Beck: "Leistungsorientierte suchen diese Wirkung"

Sind Abgeordnete besonders suchtanfällig? Wie verbreitet ist Crystal Meth unter Abgeordneten? Ein Interview mit Chefarzt Bastian Willenborg, der schon viele Politiker mit Drogenabhängigkeit behandelt hat.

Herr Dr. Willenborg, der Grünen-Politiker Volker Beck ist mit Drogen erwischt worden, mutmaßlich Crystal Meth. Auch bei anderen Abgeordneten sind Abhängigkeiten und Drogenkonsum öffentlich geworden. Sind Politiker besonders suchtanfällig?

Nicht unbedingt Politiker. Es sind aber vor allem leistungsorientierte Menschen, die in Stressphasen auf gewisse Substanzen zurückgreifen – und da auch gern auf Amphetaminpräparate, wozu Crystal Meth gehört.

Warum gerade diese?
Amphetamine bewirken eine Angstreduktion und eine Konzentrationsverstärkung. Man hat ein geringeres Schlafbedürfnis und eine erhöhte Leistungsfähigkeit. Zumindest kurzfristig. Menschen, die sehr leistungsorientiert im Beruf sind, immer wach sein und sich vermehrt konzentrieren müssen, wollen diese Wirkung haben. Das können eben Politiker, aber auch Juristen und Ärzte sein.

Politiker gelten als süchtig nach Macht und Anerkennung. Wenn sie davon nicht genug bekommen, kann das den Wunsch wecken, diesen Mangel durch Drogenkonsum zu kompensieren?

Es passiert, dass Menschen versuchen, dies mit mehr Arbeit zu kompensieren – also eher ein klassischeres Vorgehen. Es gab etwa einen Machtverlust oder man bekommt nicht, was man will, man ist primär selbst unsicher. Aus dem Gefühl, dass andere es besser machen, erwächst die Vorstellung: Ich kann es selbst nur besser machen, wenn ich Crystal nehme.

Sie sprachen als Grund für den Konsum auch den Wunsch an, noch länger wach sein zu können. Wie akut ist der Schlafmangel bei Politikern Ihrer Erfahrung nach? Es heißt, einige schlafen dauerhaft weniger als vier oder fünf Stunden.

Das ist richtig. Gerade in Hochleistungsphasen, die durch die Legislaturperioden vorgegeben sind, gibt es Politiker, die extrem wenig schlafen. Wenn man dann keinen Ausgleich hat – etwa durch Powernaps oder ein Nickerchen auf der Fahrt von Termin A zu Termin B – dann erhöht das massiv die Gefahr, für Amphetaminpräparate anfällig zu werden.

Beobachten Sie, dass der Konsum von Crystal Meth in den angesprochenen Hochleistungsgruppen häufiger geworden ist?

Crystal Meth wird insgesamt in der Bevölkerung mehr konsumiert. Ich persönlich erlebe aber schon, dass auch unser Klientel von dieser Entwicklung betroffen ist. Und das ist ein wichtiger Punkt: Crystal Meth wird eben nicht nur von Jugendlichen gebraucht, auch Politiker, Ärzte und Juristen entwickeln davon Abhängigkeiten.

Man sieht immer wieder die erschreckenden Bilder von Crystal-Meth-Süchtigen, hört von herausfallenden Zähnen. Schreckt das nicht ab?

Was meiner Meinung nach zur Verharmlosung beiträgt, ist, dass Methamphetamin eine lange Geschichte hat. Während des Zweiten Weltkriegs wurde es unter dem Namen „Panzerschokolade“ zur Angstreduktion verwendet und auch die NVA lagerte es für den Ernstfall ein. Dazu kommt: Wenn man es nicht regelmäßig nimmt, führt es zwar trotzdem sehr schnell zu einer psychischen Abhängigkeit. Aber man kann es unter Umständen Jahre nehmen, ohne dass es auffällt. Für Politiker oder Juristen ist es durchaus relevant, dass eine Crystalabhängigkeit nicht unbedingt einen sozialen Abstieg nach sich zieht.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Ich kann mich an einen Patienten erinnern, der bereits drei oder vier Jahre Crystal Meth konsumiert hatte und immer noch tätig war. Seine Abhängigkeit wollte er letztendlich nur behandeln lassen, weil seine Zähne schon weicher geworden sind.

Kann es eine Erleichterung sein, wenn man schließlich erwischt wird ?

Im ersten Moment ist es natürlich unheimlich unangenehm. Aber es ist eine Motivation, endlich etwas gegen die Sucht zu tun. Für eine Gesundung ist es ohnehin unverzichtbar, dass das Umfeld Bescheid weiß. Ungünstig ist es allerdings immer, wenn so etwas über die Medien publik wird und man unangemessen auf der Straße angesprochen wird.

Chefarzt Bastian Willenborg.
Chefarzt Bastian Willenborg.

© Amin Akhtar

Muss man für immer aus dem Politikbetrieb aussteigen, um clean zu bleiben?

Nein. Zwei bis drei Monate sollte man dem Landtag oder Bundestag aber schon fern bleiben. Allein die Entgiftungsphase dauert bis zu vier Wochen. Danach folgt eine Entwöhnungsphase, in der der Patient alternative Strategien entwickelt, um nicht mehr auf das Suchtmittel zurückgreifen zu müssen. Gerade Abgeordnete haben die Möglichkeit, ihren Arbeitsalltag flexibel zu gestalten und so zu verändern, dass sie in dem Beruf ohne große Schwierigkeiten weiterarbeiten können. Schließlich ist es nicht zwingend die Umgebung, die zu einer Sucht geführt hat, sondern der Umgang damit.

Bastian Willenborg ist Chefarzt der Oberbergklinik Berlin/Brandenburg und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie.

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