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Politik: Drohung mit dem Skalpell

Wie die SPD-Gesundheitspolitiker die Macht der Ärztefunktionäre beschneiden wollen

Von Rainer Woratschka

Sigmar Gabriel hat einfach mal gefragt. „Warum gibt es eigentlich Kassenärztliche Vereinigungen?“, wollte Niedersachsens Ministerpräsident in einem Interview wissen. Seine Antwort gab der SPD-Politiker schon mit der provokanten Frage. Sie lautet: Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) sind, wenn nicht überflüssig, so doch zu mächtig. Und wenn Ärzte einzeln mit den Kassen verhandeln dürften, wäre schon viel gewonnen.

Gabriel steht mit dieser Meinung nicht allein. Unter Gesundheitspolitikern ist es fast schon zum Allgemeinplatz geworden, dass eine echte Reform ohne Entmachtung von Ärzte- und Pharmalobby nicht zu machen ist. Dass erstere bei Rot-Grün verstärkt ins Blickfeld geraten ist, hängt nicht nur damit zusammen, dass „die Pharmaindustrie bedeutend mehr und längere Arme ins Kanzleramt hat als die Ärzteschaft“, wie der Vize der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Leonhard Hansen, klagt. Die Ärztelobby hat sich die Angriffslust der Koalitionäre auch selbst zuzuschreiben. Hat sie doch kurz vor der Wahl noch einem Vorzeigeprojekt von Ministerin Ulla Schmidt, den Chroniker-Programmen, die Unterschrift verweigert und zum Boykott aufgerufen – was Ulla Schmidt so ärgerte, dass sie den Verbänden vorwarf, „Stimmung für die Opposition“ zu machen.

„Nun haben sie das Spiel verloren“, freut sich SPD-Gesundheitsexperte Horst Schmidbauer. KBV-Chef Manfred Richter-Reichhelm erklärt sich und dem Tagesspiegel die Breitseiten denn auch mit rot-grüner Verstimmung. „Anders kann ich mir das nicht erklären.“ Gleichzeitig übt er Manöverkritik. Er habe die Aktion seiner Landesverbände zwar verstanden, aber als „politisch riskant“ befunden. Doch die Macht der Ärztelobby stört die Genossen nicht erst seit den Querschüssen im Wahlkampf. Im internationalen Vergleich, sagt Schmidbauer, sei die starke Position deutscher Mediziner ohne Beispiel. Und er ist sich sicher: Wenn deren Monopol schon nicht restlos beseitigt wird, so wird es nun doch „geknackt“. Die Möglichkeit der Kassen, Einzelverträge mit Ärzten zu schließen, sei „das Mindeste, was bei den Koalitionsvereinbarungen herauskommen muss“.

Bislang geht da gar nichts. Verhandlungspartner für die Krankenkassen sind allein die KVen. Ein Wettbewerb um Qualität und Kostenbewusstsein ist nicht möglich. Die Kassen haben weder die Möglichkeit, Überkapazitäten zu beeinflussen noch Abrechnungen im Detail zu kontrollieren. Weil die Kassenärzte wissen, dass sich dieses starre Modell nicht halten lässt, haben sie eingelenkt. „Schon lange vor der Wahl haben wir uns für eine flexiblere Vertragsgestaltung ausgesprochen“, sagt Richter-Reichhelm. Einzelverträge seien denkbar, aber eingebettet in Kollektivregelungen. Für Gesundheitspolitiker eine Mogelpackung. Schmidbauer: „Das hat schon bei der integrierten Versorgung nicht funktioniert.“ Auch hier sei man den Ärzten vor drei Jahren mit einer Art Mantelvertrag entgegengekommen. „Das war dann der Haken, an dem alles hängenblieb.“

Geht es nach den SPD-Ländern, droht den Ärzten bald ein noch größerer Machtverlust. In einem Positionspapier fordern sie von den Medizinern regelmäßige Kompetenz-Nachweise. Kliniken sollten niedergelassenen Ärzten Konkurrenz machen dürfen. Und die Kassen sollten an Arzneiversorgung und Honorarverteilung beteiligt werden. Das kratzt an der Daseinsberechtigung der Kassenärztlichen Vereinigungen. Mit dem so genannten Sicherstellungsauftrag garantieren sie bislang im ganzen Land die Versorgung, inklusive Bereitschafts- und Notfalldiensten – und verzichten auf ihr Streikrecht. Im Gegenzug genießen sie ein Monopol, sind also vor Konkurrenz aus Krankenhäusern geschützt.

Nie und nimmer könnten Krankenkassen, die in Wettbewerb stehen, flächendeckende Versorgung garantieren, sagt Richter-Reichhelm. Ulla Schmidt sieht das ähnlich. Doch unter SPD-Experten ist es laut Schmidbauer „Mehrheitsmeinung“, dass den Lobbyisten der Sicherstellungsauftrag entzogen gehört.

Insider glauben nicht, dass es so weit kommt. Doch bei den Betroffenen herrscht Aufregung. Der Entzug würde, so Richter-Reichhelm, „faktisch die Abschaffung der Kassenärztlichen Vereinigungen bedeuten“. Das aber, so schimpft er, habe in keinem Wahlprogramm gestanden. Wenn die SPD solches plane, müsse sie sich „fragen lassen, ob sie die Wähler hinters Licht geführt hat“.

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