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Politik: Du, Herr Minister

Foto: Rückeis / Montage: DP HINTER DEN LINDEN Du, du liegst mir am Herzen – doch, Leser, wirklich, so ist das mit dir. Bitte, was ist?

Von Robert Birnbaum

Foto: Rückeis / Montage: DP

HINTER DEN LINDEN

Du, du liegst mir am Herzen – doch, Leser, wirklich, so ist das mit dir. Bitte, was ist? Wie ich dazu komme, dich zu duzen? Na ja, ich bin halt von gestern. Ganz früher war man von gestern, wenn man alle Welt mit Sie angesprochen hat. Ein Zeichen hoffnungslos altmodischer Zopfigkeit, dieses „Sie“, Ausdruck mangelnden Solidaritätsgefühls als Mensch unter Menschen sowie Anzeichen überholter bürgerlicher Herrschaftsstrukturen. Früher duzte man. Der Höhepunkt dieser Welle, hat das Institut für Demoskopie in Allensbach herausgefunden, schwappte Anfang der 90er Jahre durch die Republik. 1984 lag der Anteil der gewohnheitsmäßigen Duzer bei 28 Prozent, ein Jahrzehnt später war er auf 34 Prozent hochgeschnellt. Heute ist er wieder bei 29 Prozent angekommen, mit charakteristischer Verteilung: Die Alten duzen nicht, wir Mittleren immer noch, die Jungen nicht mehr. Vielleicht tun sie klug daran, die Jungen. Hier hinter den Linden zum Beispiel hat die Jugendsitte, unter Gleichaltrigen umstandslos zum Du überzugehen, zu einer gewissen Verlotterung beigetragen. Weil nämlich gewisse Gleichaltrige inzwischen zu Amt und Würden gekommen sind – der Joschka, der Gerd, der Guido, die Angela, von weniger Prominenten zu schweigen. Nun bringt es das Journalistenleben mit sich, dass man gelegentlich zu einem solchen nicht nur Nettigkeiten sagen kann, sondern auch mal Unangenehmes sagen und fragen muss. Das kumpaneische Du macht das aber schwerer. Unsere Alten hatten dafür den drastischen Merksatz, „Sie A. . . “ sage sich viel leichter als „Du A . . . “. So würden wir einen Leser allerdings niemals titulieren. Du hast doch also nichts dagegen, wenn ich dich weiter duze?

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