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Duisburgs OB Sauerland: Im Amtszimmer verbarrikadiert

Mehr als eine Woche nach der Loveparade-Katastrophe warten die Duisburger weiter auf ein öffentliches Wort ihres OB Sauerland – der Ton wird aggressiver.

Die Absperrgitter sind verschwunden, die vielen Uniformierten auch. Der Platz ist menschenleer, einige rot-weiße Polizeibänder am Boden erinnern an das Treiben am Vortag. Die Tür zum Rathaus bleibt an diesem Sonntag verschlossen, in der Salvatorkirche nebenan bereiten gute Geister den sonntäglichen Gottesdienst vor. Die Zahl der Besucher wird überschaubar bleiben und dieses Mal sind keine Plätze in der ersten Reihe reserviert, wie es am Samstag war, als die gesamte Staatsspitze der trauernden Stadt Duisburg ihre Aufwartung machte.

Die Stadt selbst ist ruhig. Aber niemand kann die vielen Plakatwände und angeklebten Zettel übersehen, auf denen der Oberbürgermeister der Stadt attackiert wird. „Sauerland untergetaucht – nur Verbrecher tauchen unter“ heißt es auf einem. Es spricht aus, was im Moment viele denken.

Dabei hatten die Duisburger den Oberbürgermeister im Herbst vergangenen Jahres noch mit eindeutiger Mehrheit wiedergewählt und damit bestätigt, was sie fünf Jahre zuvor entschieden hatten: dass sie Adolf Sauerland dem Kandidaten der SPD vorziehen. Das Votum war vor allem ein persönlicher Vertrauensbeweis für Sauerland, denn nach wie vor ist es keine Selbstverständlichkeit, dass ein Christdemokrat im Ruhrgebiet mehrheitsfähig bleibt. Weil seine CDU bei der gleichen Wahl im Stadtrat weit hinter die Sozialdemokraten zurückgefallen ist, konnte Sauerland das Ergebnis als Bestätigung seiner Arbeit in der vom Strukturwandel gebeutelten Ruhrstadt werten, ohne dass irgendjemand im Lande widersprochen hätte.

Dieses Vertrauen hat der Mann in wenigen Tagen völlig verspielt, nur er selbst scheint es noch nicht bemerkt zu haben. Als er am Abend des Unglücks davon sprach, dass die Todesfälle vor allem etwas mit „individuellen Fehlern“ zu tun gehabt hätten, horchte man zum ersten Mal auf; zumal die Analyse reichlich schnell vorgetragen wurde und sofort durchschimmerte, dass diese Sätze auch Elemente der Selbstverteidigung enthielten. Als der direkt gewählte Oberbürgermeister dann am Tag nach der Katastrophe außer einigen formelhaft vorgetragenen Bemerkungen zu seiner persönlichen Anteilnahme nur wenig Antworten gab, veränderte sich die Wahrnehmung der Bürger auf ihr Stadtoberhaupt. Dass er behauptete, er habe mit der Organisation der Veranstaltung nichts zu tun gehabt („ich persönlich – nein“) empfanden viele wie einen zweiten Schock. Als er sich danach an der Unglücksstelle einfand, um gemeinsam mit anderen Menschen zu trauern, wurde er beschimpft und mit Müll beworfen. Seither steht er unter Polizeischutz und hat sich in seinem Amtszimmer verbarrikadiert. Fremde dürfen sich nicht mehr frei im Rat bewegen, weil man fürchten muss, dass Sauerland persönlich attackiert wird.

Weil er die Lage immer noch nicht richtig einschätzte, mussten ihm die Ordnungskräfte beibringen, dass es völlig ausgeschlossen sei und er unmöglich bei der Trauerfeier auftauchen könne. „Wie sieht denn das aus, wenn Sie reden und dabei von der Polizei eskortiert werden müssen“, rief ihm ein Sicherheitsbeamter zu.

Auch die eigenen Leute kommen nur schwer an ihn heran. Sie erleben aber seine wechselnden Stimmungen, denn die Lage in der Stadt bleibt ihm nicht verborgen, außerdem kann er die Wortmeldungen aus der eigenen Partei nicht völlig ignorieren. „Er muss die politische Verantwortung übernehmen, das hat nichts mit persönlicher Schuld zu tun“, hat ihm Wolfgang Bosbach aus der Bundestagsfraktion zugerufen. Selbst die Kanzlerin hat ihm vor ihrem Besuch in Duisburg ausrichten lassen, dass sie sein Verhalten kaum mehr nachvollziehen kann. Die Appelle scheinen keine Wirkung zu entfalten.

Am Tag vor der Trauerfeier gab es Hinweise, Sauerland würde am späten Nachmittag seinen Rückzug einleiten, aber sie erwiesen sich als falsch. „Ich will mithelfen aufzuklären“, verkündete er stattdessen per Fernsehinterview in einem überregionalen Sender. Mit den lokalen Journalisten redet er kaum noch, weil sie ihn seiner Meinung nach zu hart attackieren.

Die Landes-CDU erscheint ähnlich gelähmt wie der Duisburger Oberbürgermeister. In dem aktuellen Führungsvakuum wagt es niemand, dem Parteifreund einen Hinweis zu geben. Unterdessen entwickelt sich eine weitere politisch brisante Debatte über die Versorgungsbezüge von Sauerland. Es entsteht der Eindruck, er klebe an seinem Stuhl, weil er im Falle eines selbst erklärten Rückzuges seine Pension komplett verliere. Das ist objektiv falsch, aber auch Sauerland lässt diese Diskussion mehrere Tage ohne Widerspruch laufen.

Selbst der Weg zu dem Ort der Trauer im Unglückstunnel bleibt ihm verwehrt, die Polizei könnte dort für seine Sicherheit kaum mehr garantieren. Dabei wäre ein solcher Besuch möglicherweise hilfreich. Die Menschen schreiben auf unendlich vielen Zetteln und Briefen, was sie bewegt. Dabei finden sich unzählige Worte der Anteilnahme, von Fremden, von Angehörigen und Freunden der 21 Opfer. Es finden sich aber auch an diesem Ort eindeutige Hinweise an Adolf Sauerland und die anderen Planer der Loveparade. „Das war kein Unfall – das war Mord“ steht da. Aus solchen Sätzen spricht Hass, aber Hass entsteht aus Verzweiflung und Hilflosigkeit.

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