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Politik: Dumm zu sein bedarf es wenig

INTRIGE UND LOYALITÄT

Von Tissy Bruns

Die Intrige ist auch nicht mehr das, was sie früher einmal war. Sigmar Gabriel ein Intrigant? Das Willy-Brandt-Haus, wie der Geschmähte kontert, ein Intrigantenstadl? Ein Intrigant muss dann und wann schweigen können; darum ist Gabriel für diese Rolle gänzlich ungeeignet. Und die SPD-Zentrale ist und bleibt so bieder, dass sozialdemokratische Rankünen seit Jahr und Tag an anderen Orten, etwa im Saarland oder in Bad Münstereifel, geschmiedet werden.

Die Beziehungsaffäre der SPD lässt in Wahrheit vermuten, dass es keinen Raum mehr gibt für die geschmeidigen Taktiker. Und um es gleich zu sagen: Das wäre durchaus beklagenswert. Die Farbe der Demokratie ist grau. Was schön ist, weil Grau entsteht, wenn sich alle Farben mischen. Und weniger schön, weil danach nichts mehr wirklich klar und rein ist. Keine Licht- ohne die Schattengestalten, die in aller Stille Ränke schmieden, um Konkurrenten zu Fall und sich selbst nach vorn zu bringen. Pläne öffentlich fördern, damit sie scheitern. Gegner mit vergifteten Komplimenten loben, damit sie sich in unerreichbare Ziele verrennen. Gutgläubige für eigene Zwecke instrumentalisieren. Kein Spitzenpolitiker, der sich nicht gewiefter Taktiker bedient; gerade die Größten sind Licht- und Schattengestalt in einer Person.

Kein absichtsvolles Ränkespiel hat sich in Bochum gegen den Generalsekretär gerichtet. Es war das Gegenteil, nämlich einfache politische Dummheit. Da sind eben nicht Delegierte in zielgerichteter Absicht dirigiert worden. Die vormaligen Parteisoldaten lassen sich vielmehr von niemandem mehr lenken. Trotzdem ist nachvollziehbar, dass Gerhard Schröder augenblicklich Intrigen gewittert hat. Das Unheil ereilte seinen Generalsekretär nämlich aus Freundesland. Kein großer Schaden, wenn scharfer Gegenwind nur von der Parteilinken gekommen wäre, von den sachlich ausgewiesenen Feinden. Aber Scholz wurde auch von vielen Schröder-Leuten nicht gewählt. Dessen Zorn ging folgerichtig auf seine Nächsten, die Niedersachsen, nieder. Denn deren Bedürfnis, Scholz symbolisch zu strafen, biss sich empfindlich mit dem dringendsten Wunsch des Parteichefs in schwieriger Lage. Schröder brauchte von diesem Parteitag: Loyalität.

Intrige und Loyalität stehen in demokratischen Parteien in enger Beziehung, weil in der Seele des Spitzenpolitikers Gemeinsinn und Ehrgeiz miteinander auskommen müssen. Eine fast unlösbare menschliche Aufgabe. Dem demokratischen Politiker wird Macht nur auf Zeit verliehen, und er muss sich bei ihrer Ausübung an tausend Regeln halten. Verglichen mit den Mächtigen in Wirtschaft oder Militär isst der Politiker ein hartes Brot. Er kommt an die Spitze, wenn er Menschen überzeugt, Helfer für seinen Weg begeistert, Wahlen gewinnt. Seine Wegbegleiter müssen auf seine Loyalität bauen können wie er auf die seiner Vertrauten. Doch er kann, wie seine Helfer zu Recht von ihm erwarten, das Fell des Bären nur ordentlich unter den Seinen verteilen, wenn er ihn erlegt hat. Er muss ehrgeizig sein, nach oben wollen, andere ausstechen und besiegen können.

Die Erfahrungen für die große Schlacht, den Machtwechsel in Land oder Bund, sammelt jeder Politiker in seinem eigenen Lager, in seiner Partei. Dort entwickeln sich Charismatiker, Karrieristen, anständige und unmoralische Menschen zu politischen Führungsfiguren. Aber niemand, der glaubt, dass der Weg zur Macht in Parteisatzungen und Wahlgesetzen erschöpfend geregelt ist. Er führt unvermeidlich über Machtkämpfe, über Beziehungen, die man sich schafft oder kappt. Über Seilschaften, an deren Spitze nur gelangen kann, wer ihre interne Loyalität im geeigneten Moment in Frage stellt. Es wäre verlogen, vor dem funktionalen Nutzen der Intrige die Augen zu verschließen.

Und moralisch wohltuend, dass dieser Nutzen begrenzt ist, wie das Beispiel des Jürgen Möllemann beweist. Denn nach jedem erfolgreichen Machtkampf muss neue Loyalität geschaffen werden. Auch mit den Unterlegenen, die sonst zu Enttäuschten und Rächern werden könnten. Die nächste Wahl kommt ganz bestimmt. Vertragt euch wieder, möchte man Schröder und Gabriel zurufen. Das ist doch noch nicht einmal ein Machtkampf. Die SPD macht sich, wozu sie neigt, einfach gegenseitig fertig.

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