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Politik: Ecevit beschimpft Europa - und will dennoch dazugehören

Bülent Ecevit war noch nie als glühender Bewunderer der Europäer bekannt. Doch die Tatsache, dass er sich für seine jüngste Tirade gegen die EU ausgerechnet den Tag aussuchte, an dem das Europa-Parlament in Straßburg über die EU-Perspektiven der Türkei debattierte, verblüffte sogar altgediente türkische Beobachter wie den Leitartikler Oktay Eksi.

Bülent Ecevit war noch nie als glühender Bewunderer der Europäer bekannt. Doch die Tatsache, dass er sich für seine jüngste Tirade gegen die EU ausgerechnet den Tag aussuchte, an dem das Europa-Parlament in Straßburg über die EU-Perspektiven der Türkei debattierte, verblüffte sogar altgediente türkische Beobachter wie den Leitartikler Oktay Eksi. Kein Wunder: Bei einer Rede zur Eröffnung des akademischen Jahres an der Baskent-Universität in Ankara warf Ecevit den Westeuropäern am Mittwoch vor, sie seien Rassisten. Gerade in dem Moment, als Europa über die Türkei sprach, habe Ecevit losgeschlagen, wunderte sich Eksi.

In seiner Rede bekräftigte Ecevit, die Türkei habe einen Anspruch auf die EU-Mitgliedschaft. "Aber einige Europäer sehen uns nicht als Europäer." Der Ministerpräsident ortete "psychologische Hürden" in Westeuropa, die einer EU-Zugehörigkeit seines Landes entgegen stünden. "Die wichtigste davon ist die Tatsache, dass die Türkei ein moslemisches Land ist." Damit schloss sich Ecevit seinem Vorgänger und Koalitionspartner Mesut Yilmaz an, der den Europäern vorgewarf, in der EU einen "Christenclub" zu sehen.

Die zweite Hürde für einen EU-Beitritt der Türkei besteht nach Ecevits Worten im euopäischen Rassismus: "Westeuropa ist rassistisch." Im übrigen sei die Türkei als Brückenland zwischen Okzident und Orient nicht auf Europa angewiesen, sagte der Regierungschef. Die Attacken Ecevits sind Ausdruck der Europa-Skepsis seiner Regierung: Sie verfolgt das Ziel der EU-Mitgliedschaft, aber nicht um jeden Preis.

Diese offizielle Haltung der Regierung ändert nichts an der Attraktivität Europas für die meisten Türken. Schon Staatsgründer Atatürk hatte die neue Nation beauftragt, "an dieser Zivilisation teilzuhaben". Trotz aller Höhen und Tiefen haben weder Regierung noch Öffentlichkeit dieses Ziel aufgegeben. Nach wie vor werden positive Entwicklungen für die EU-Perspektiven der Türkei gefeiert, so auch die Stellungnahme des deutschen EU-Kommissars Günter Verheugen für eine Anerkennung der Türkei als Bewerberstaat am Mittwoch in Straßburg. "Die Tür ist einen Spalt weit auf", lautete die mit der Europafahne im Hintergrund geschmückte Schlagzeile des nationalistischen Massenblatts "Hürriyet" am Donnerstag. Die Weigerung des Europa-Parlaments, sich die Empfehlungen Verheugens zu Eigen zu machen, wurde in der liberalen Zeitung "Radikal" als "schlechte Nachricht" gewertet.

Noch immer leidet Ankara unter der Erfahrung des Luxemburger EU-Gipfels vom Dezember 1997, der zu einem nationalen Trauma wurde. Damals lehnte die EU den Beitrittsantrag der Türken glatt ab. Ecevits Koalition aus Linksnationalisten, Konservativen und Rechtsextremisten will deshalb die weiteren Entwicklungen in Europa abwarten, ohne selbst Vorleistungen zu erbringen: Aus der Sicht Ankaras muss Brüssel den ersten Schritt tun und die Türkei endlich als Beitrittskandidaten anerkennen. Deshalb sieht die türkische Regierung mit Spannung dem Gipfel von Helsinki im Dezember entgegen. Außenminister Ismail Cem warnte mehrfach vor den Konsequenzen einer erneuten Ablehnung Ankaras: Sollte die Türkei auch bei diesem Gipfel leer ausgehen, werde Ankara seine Beziehungen zu Europa "auf ein Minimum" herunterfahren.

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