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Politik: Eckart Werthebach im Interview: "Was hat nicht funktioniert?"

Eckart Werthebach (61) steht seit den Krawallen am 1. Mai in Berlin in starker Kritik.

Eckart Werthebach (61) steht seit den Krawallen am 1. Mai in Berlin in starker Kritik. Dem Berliner Innensenator wird vorgeworfen, Gewalttäter durch das Demo-Verbot noch mehr herausgefordert zu haben. Der Experte im Versammlungsrecht wurde 1998 als Nachfolger von Jörg Schönbohm Berliner Innensenator. Anfang der 90er Jahre war er Präsident des Kölner Bundesamtes für Verfassungsschutz und arbeitete vor dem Wechsel in die Hauptstadt als Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Der CDU-Politiker, seit 1998 im Amt, will die Versammlungsfreiheit für Extremisten klar einschränken und in Berlin "befriedete Zonen" schaffen.

Krawalle und Straßenschlachten prägten auch dieses Jahr das Bild vom 1. Mai in Berlin. Die Strategie der Deeskalation hat in der Vergangenheit nicht funktioniert. Die Strategie der Eskalation jetzt auch nicht. Was hilft beim nächsten Mal?

Beide Begriffe sind unzutreffend. Deshalb ist die Schlussfolgerung falsch. Wir haben einen neuen Weg eingeschlagen. Wir sind nicht mehr bereit zuzulassen, was 14 Jahre lang in Berlin geschehen ist, nämlich dass Gewaltorgien als Demonstrationen ausgegeben werden. Es gibt kein Grundrecht auf Krawall. Recht darf Unrecht nicht weichen. Dieser Weg war richtig, und wir werden ihn konsequent fortsetzen.

Aber einen Erfolg kann man das doch nicht nennen, was in Kreuzberg geschehen ist?

Das habe ich auch nicht gesagt. Aber Recht darf dem Unrecht nicht weichen. Der richtige Weg ist, dass solche Krawalle in Zukunft unterbunden werden.

Unabhängig von Begriffen: In diesem Jahr wurde eine eher repressive Strategie gefahren. Was ist der nächste Schritt, wenn Sie bei dieser Strategie bleiben?

Eine Gegenfrage: Können Sie mir sagen, welche repressive Maßnahme in diesem Jahr eingesetzt wurde, die in den vergangenen 14 Jahren nicht eingesetzt worden war? Sie werden keine finden. Platzverweise hat es gegeben, Aufenthaltsverbote, Verbringungsgewahrsam, vorläufige Festnahmen etc. Wenn Sie behaupten, in den vergangenen 14 Jahren sei auf Deeskalation gesetzt worden, müssen wir uns diese 14 Jahre anschauen. In all diesen Jahren hätten Verbote solcher Demonstrationen ausgesprochen werden können. Das ist nicht geschehen, und zwar aus polizeitaktischen Gründen. Als 1989 die Polizei kaum in Erscheinung trat, hat Kreuzberg beinahe gebrannt.

Diesmal haben Sie ein klares repressives Signal gesetzt. Und eben diese Strategie hat nicht funktioniert. Also noch einmal: Was ist der nächste Schritt?

Was hat nicht funktioniert? Mir wäre es natürlich am liebsten gewesen, Krawalle hätten nicht stattgefunden. Das ist nicht vollständig erreicht worden, trotz eines massiven Polizeieinsatzes. Der Einsatz war aber deshalb so massiv, weil die Linksextremisten angekündigt hatten, überall in der Stadt zu zündeln. Und das ist unterbunden worden, auch wenn es in der Öffentlichkeit gar nicht wahrgenommen wird. Das ist auf jeden Fall ein großer Erfolg. Es hat tatsächlich Versuche gegeben, in die Glasmeilen zu kommen, in der City West und in der City Ost. Das haben wir verhindert. Es gelang nur nicht, die Ausschreitungen am Mariannenplatz zu verhindern. Das lag daran, dass dort ein echtes 1. Mai-Fest stattfand, mit Frauen und Kindern. Durch das Eindringen der Gewalttäter in dieses Fest hatte die Polizei keine Einsatzmöglichkeit. Am Oranienplatz wäre das ungleich einfacher gewesen. Ich bestreite aber, dass wir insgesamt mehr Gewalt als in den vergangenen Jahren hatten. Es ist ein besseres Ergebnis als in all den 14 Jahren zuvor. Der Verlauf stellt mich nicht zufrieden. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir das in den nächsten Jahren immer besser hinbekommen.

Ein Element ihrer Strategie könnte im nächsten Jahr fehlen, nämlich das Demo-Verbot. Die Gerichte könnten es untersagen. Die Demonstration können Sie nur verbieten, wenn Sie konkret belegen können, dass aus ihr heraus Straftaten drohen. Dieses Jahr hat gezeigt: Es gibt den Krawall auch ohne Demo.

Ich kann immer dann ein Verbot aussprechen, wenn eine Prognose ergibt, dass aus diesem Aufzug heraus Straftaten begangen werden. Wenn solche Gewalttäter ein Jahr nicht demonstrieren konnten, weil es ein Verbot gab, und deshalb aus anderen Situationen heraus gewalttätig geworden sind, bleibt mir nach einhelliger Rechtssprechung unbenommen zu sagen: Die Anmelder und Teilnehmer einer solchen Demonstration sind dieselben, die in den Jahren davor diese Gewalttaten begangen haben. Da bekomme ich überhaupt keine rechtlichen Probleme.

Wir haben in Berlin nicht nur Probleme mit dem 1. Mai der Linksextremen, sondern auch mit Neonazis, die am selben Tag in Hohenschönhausen demonstriert haben.

Ich habe viele Zuschriften zu diesem Thema bekommen. Einige waren kritisch: Links hast Du verboten, rechts zugelassen. Politisch wäre mir lieber gewesen, dass beide Verbote bestandskräftig geblieben wären. Mit Blick auf die neueste Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte und des Bundesverfassungsgerichts kann ich die Haltung zur Verlegung der NPD-Demo aber juristisch nachvollziehen. Deswegen mein Appell an Bundesregierung und Bundestag, sich dieses Problems anzunehmen.

Wie kann eine Lösung aussehen?

Wir müssen ein besonderes Unwerturteil bei Aufzügen von Rechtsextremisten zum Ausdruck bringen können. Wir haben im Strafgesetzbuch eine Menge Vorschriften, die nur von Rechtsextremisten begangen werden können. Vergleichbare Vorschriften für Linksextremisten gibt es nicht. Wenn der Gesetzgeber hier Sonderregeln getroffen hat - warum sind wir nicht bereit, dies auch im Versammlungsrecht zu tun? Das Bundesverfassungsgericht hat jüngst klargestellt, dass auch Rechtsextreme den Schutz der Versammlungsfreiheit im Rahmen der sehr weiten Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit genießen. Ich glaube aber, dass wir das politisch neu bewerten müssen. Hier sind nicht die Gerichte gefragt, sondern der Gesetzgeber. Ich nehme es hin, wenn Extremisten, welcher Couleur auch immer, demonstrieren. Ich habe aber etwas dagegen, wenn Sie mit der Demonstration verfassungsfeindliche Ziele verfolgen.

Also kein pointiert anti-rechtsextremistischer Ansatz, sondern ein anti-extremistischer Ansatz?

Das würde ich bevorzugen. Aber ich hätte auch keine Bedenken, wenn man sich auf Rechtsextreme konzentriert. Ich habe den Vorschlag gemacht, dass Demonstrationen auch dann die öffentliche Sicherheit gefährden und verboten werden können, wenn erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland betroffen sind und dadurch Verfassungsgrundsätze verletzt werden.

Demonstrationen können auch eingeschränkt werden, wenn sie die öffentliche Ordnung gefährden. Dies hat das Verfassungsgericht in einem Fall bestätigt, als Neonazis am Gedenktag der Auschwitz-Befreiung demonstrieren wollten, und jetzt das Oberverwaltungsgericht Münster, weil ein Rechtsextremen-Aufzug zu Ostern nicht mit dem Charakter der Feiertage als Fest des Friedens und der Hoffnung vereinbar sei. Sie, Herr Werthebach, forderten einmal, den Begriff der öffentlichen Ordnung wieder mit Leben zu füllen. Soll das so aussehen?

Das Bundesverfassungsgericht hat tatsächlich die Tür etwas geöffnet. Es hat aber damit leider nur eine Verlegung der Demonstration begründet, und kein Verbot.

Wollen Sie ein Demo-Verbot zu Ostern?

Das Gericht in Münster hat gesagt, man könne das nicht auf einen bestimmten Tag oder Abschnitt im Jahr beschränken. Aber wir haben zum Beispiel viele historisch belastete Tage. Verdammt viele.

Gleichgültig ob Rechts oder Links: Sie treten auch dafür ein, befriedete Zonen zu schaffen, in denen grundsätzlich nicht demonstriert werden darf.

Ich halte es für völlig verfehlt, wenn demnächst Neonazis am zentralen Holocaust-Mahnmal aufmarschieren. Das scheint sogar die rot-grüne Bundesregierung nachvollziehen zu können. Das muss aber auch an der Neuen Wache gelten, weil dort aller Opfer von Gewalt und Willkürherrschaft gedacht wird. Wer dort nur der Opfer gedenken will, soll sich aber auch weiterhin versammeln und auch demonstrieren dürfen.

Was ist mit dem Brandenburger Tor. Dort tobt der Verkehr. Ist das auch ein stiller Ort des Gedenkens?

Das Brandenburger Tor ist ein Ort von herausragender nationaler und historischer Bedeutung. Es ist das Denkmal der Deutschen Einheit. Ob nur dieser Ort oder auch andere Orte geschützt werden sollten, mag der Bundesgesetzgeber entscheiden.

Es gibt noch eine andere politische Versammlung in Berlin, die Unruhe stiftet, das ist die Love Parade. War es rückblickend ein Fehler, sie als politische Demonstration anerkannt zu haben?

Mir wurde bei der Übernahme meines Amtes überzeugend gesagt, dass die Love Parade zu Anfang eine echte Demonstration war. Ich habe den Eindruck, dass sie in den letzten Jahren zu einer kommerziellen Veranstaltung geworden ist - die dem weltoffenen und progressiven Berlin natürlich gut ansteht. Daraus hätte man jedoch vor Jahren Konsequenzen ziehen müssen. Die Love Parade hätte keine Demo bleiben dürfen, sondern als Sondernutzung öffentlichen Straßenraums betrachtet werden müssen. Das wäre kein Problem gewesen. Ich hoffe, dass dies in diesem Jahr der Weg ist.

Warum wurden nicht früher Konsequenzen gezogen?

Die Verwaltung kann nur reagieren, wenn die Veranstalter entsprechende Anträge stellen. Wir haben die Veranstalter schon vor Jahren auf die rechtlichen Risiken hingewiesen. Aber sie waren sich ihrer Bedeutung für die Stadt offenbar so sicher, dass sie gesagt haben: Was soll die Bürokratie?

Bleiben wir in Berlin. Kürzlich hat eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten gefordert, die in Bonn verbliebenen Bundesministerien nach Berlin zu holen.

Ich war von Beginn an ein Befürworter des Umzugs. Wir haben viel dafür getan, um ihn gerecht zu gestalten. Und man muss auch sehen, wie Bonn entschädigt worden ist, etwa mit den Zentralen der Telekom und der Deutschen Post. Es ist keineswegs so, dass dort nichts los ist. Ich kann verstehen, dass Bonn seine Ministerien mit Zähnen und Klauen verteidigt. Aber ein Minister, der sein Haus verantwortungsvoll führen will, braucht seine Mitarbeiter vor Ort. Ich glaube, dass hier nach der Bundestagswahl 2002 neu entschieden wird. Der Umzug der gesamten Ministerien nach Berlin ist für mich unausweichlich.

Sie waren in der CDU-Kommission für Zuwanderung, die jetzt ihre Ergebnisse vorgestellt hat. Sie fordert die Pflicht zu Sprachkursen. Angenommen, Sie übersiedeln für Ihren Lebensabend an die spanische Costa Blanca, um sich herum eine perfekte deutsche Infrastruktur. Jetzt kommen die spanischen Behörden und wollen Sie zum Spanischlernen vor die Tafel setzen. Was sagen Sie?

Wenn ich dauerhaft in einem Land lebe, dann ist es die pure Selbstverständlichkeit dass ich die Landessprache erlerne. Das ist in meinem ureigenen Interesse. Wenn ich öfter in ein fremdes Land reise, sollte ich beim Bäcker auch in der Landessprache sagen können, wie viele Brötchen ich haben will. Wer in Deutschland arbeiten will, der hat gar keine Alternative. Der muss die deutsche Sprache lernen. Und dazu wollen wir ihn in seinem Interesse auch verpflichten. Wir haben hier Entwicklungen zu Parallelgesellschaften, wo gar kein Deutsch gesprochen wird. Unter diesem Aspekt ist kein friedliches Zusammenleben möglich.

Sie sind überhaupt ein Freund der deutschen Sprache. Um sie rein zu erhalten, haben Sie sogar ein Gesetz vorgeschlagen. Würden denn noch mehr Menschen zu einer Liebes-Parade kommen als zur Love Parade?

Meine Initiative galt von Anfang an der überflüssigen Verwendung von Anglizismen. Wir müssen den Computer nicht Rechner nennen, wie etwa die Franzosen, die jetzt "ordinateur" sagen müssen. Ich bin auch dagegen, dass die Fachsprache aus der Informationstechnik so stark in die Umgangssprache Einzug hält. Viele Menschen fühlen sich ausgegrenzt.

Sie wehren sich gegen diesen Einfluss. Aber ist es nicht so, als sagte man: Ich bin gegen schlechtes Wetter?

Nein. Gerade die Medien haben die Pflicht, Sendungen zu produzieren, die von ihrem Publikum verstanden werden. Das ist für mich praktizierter Konsumentenschutz. Kürzlich haben wir diskutiert, welche englischen Wörter man gar nicht mehr aus unserer Sprache wegdenken kann. Jemand sagte: Im Internet surfen. Warum sagen wir dazu immer "surfen", habe ich gefragt. Sagen Sie es doch auf deutsch. Da meinte er: Im Internet schmökern. Schmökern! Das finde ich doch treffend.

Krawalle, Straßenschlachten prägten

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