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Edelgard Bulmahn: Bildungsgipfel: ''Bund darf nicht nur Kommentator sein''

Ex-Ministerin Bulmahn erwartet vom Gipfel mehr Geld und mehr Chancen für Verlierer.

Frau Bulmahn, Bundeskanzlerin Angela Merkel will Deutschland zur Bildungsrepublik machen. Wie könnte die aussehen?

Jedes Kind ab drei Jahren besucht einen Ganztagskindergarten, der personell gut ausgestattet ist. Die Bundesrepublik hat nur noch Ganztagsschulen, wo Kinder gemeinsam lernen und individuell gefördert werden, ohne mit zehn Jahren aussortiert zu werden. Unser Bildungssystem ist durchlässig und für Migranten- und Arbeiterkinder nicht mehr nach oben abgeschottet. Es ist selbstverständlich, dass Kinder aus ärmeren Familien und Migrantenfamilien besonders unterstützt werden.

Der Haken an Merkels Initiative ist, dass der Bund für das allgemein bildende Schulwesen nicht zuständig ist.

Es war falsch, dem Bund mit der Föderalismusreform jede Möglichkeit zu nehmen, Initiativen in der Schule finanziell anzustoßen. Denn dort, wo der Bund es noch vor der Verfassungsreform getan hat, sind die Effekte positiv, obwohl die CDU- Länder damals Sturm gelaufen sind: Die Ganztagsangebote haben sich seit 2002 verdoppelt, die Qualität der frühkindlichen Bildung hat sich erheblich verbessert. Der anstehende zweite Teil der Föderalismusreform bietet die Chance, diesen Fehler zu korrigieren. Der Bund darf in der Bildung nicht auf die Rolle des Kommentators reduziert werden.

Bildung ist ein nationales Thema, dem die Länder sich durchaus gewachsen sehen. Dabei verweisen sie auf große Anstrengungen nach Pisa. Erkennen Sie das an?

Trotz großer Anstrengungen muss man feststellen, dass das Bildungsbudget nicht gestiegen ist. Der Anteil von Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt ist sogar gesunken. Diesen Trend müssen wir sehr schnell umkehren. Denn gute Qualität gibt es nicht ohne gut ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer und gut ausgestattete Schulen. Deshalb wäre es auch falsch, die Steuern zu senken.

Der neue nationale Bildungsbericht sieht das duale Ausbildungssystem in der Krise. Die Integration auch Jugendlicher aus bildungsfernen Schichten in die Berufswelt gelinge nur noch schlecht. Was müssen Politik und Wirtschaft hier verbessern?

Leider ist das duale System schon seit den 90er Jahren in der Krise. Es ist dramatisch, wenn ein Jahr nach dem Schulabgang die Hälfte aller Hauptschüler noch keinen Ausbildungsplatz hat. Hinzu kommt: Wenn bei 20 Prozent der 15-Jährigen sogar Grundkompetenzen im Lesen fehlen, werden sie selbst bei steigenden Ausbildungsplatzzahlen schlechte Chancen haben. Hier muss sich das Schulsystem ändern. In den Regionen selbst kann durch schulische Angebote und durch Ausbildungsnetze und -partnerschaften zwischen Unternehmen und Schulen die Situation verbessert werden. Hier ist schon viel geschehen. Allerdings: Nicht jedes Unternehmen bildet aus, auch wenn es könnte. Ausbildung ist eine wichtige Aufgabe. Es geht um die Fachkräfte von morgen.

Was hilft den Hochschulen?

Es ist gut, dass die Exzellenzinitiative fortgesetzt wird. Außerdem sollte ein zweiter Hochschulpakt aufgelegt werden, um die Lehre zu verbessern. Dieser muss aber erheblich mehr Geld für neue Professuren enthalten als der erste. Ich halte deshalb ein großes, auf zehn Jahre angelegtes Bund-Länder-Professorenprogramm für notwendig. Auch müssen in Zukunft viel mehr Menschen mit Berufsausbildung, aber ohne Abitur ein Studium aufnehmen. Bei uns schafft das nur ein Prozent, in der Schweiz sind es über 40 Prozent. Dies wäre ein wichtiger Schritt, um etwa den Fachkräftemangel bei Ingenieuren zu bekämpfen.

Was erwarten Sie vom nationalen Bildungsgipfel im Oktober?

Ich erwarte eine verbindliche Verabredung darüber, wie der Anteil am Bruttoinlandsprodukt für Bildung bis 2010 auf sieben Prozent erhöht werden kann – denn die Zeit drängt sehr. Außerdem muss es eine verbindliche Vereinbarung darüber geben, mit welchen Handlungsschritten und welcher Finanzierung sich die Chancen der bisherigen Verlierer in unserem Bildungssystem verbessern lassen – vom Kindergarten bis zum Berufsabschluss.

Das Gespräch führten Anja Kühne und Amory Burchard.

Edelgard Bulmahn (57) war unter Gerhard Schröder Bundesbildungsministerin. Die SPD-Politikerin ist jetzt Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie des Bundestags.

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