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Dass Sigmar Gabriel Glenn Greenwald am 15. März die Hand geschüttelt hat, ist bildlich dokumentiert. Aber was sagte er Greenwald im Anschluss an den offiziellen Teil?

© Oliver Ditze/dpa

Edward Snowden: Drohten die Amerikaner den Deutschen?

Wir haben Snowden nicht nach Deutschland geholt, weil die Amerikaner uns gedroht haben. Das soll Sigmar Gabriel Glenn Greenwald gesagt haben. Nun antwortet die Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen: Stimmt gar nicht. Eine Annäherung an die Wahrheit.

Von Anna Sauerbrey

Einer sagt nicht die Wahrheit, so viel steht fest. Die Frage ist nur, wer? Ist es der Vizekanzler, SPD-Chef und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel? Ist es der Enthüllungsjournalist und Snowden-Vertraute Glenn Greenwald? Ist es das Bundesinnenministerium, stellvertretend für die Bundesregierung? Oder etwa die Regierung der Vereinigten Staaten?

Aber von vorn. Am Sonntag, den 15. März – Millionen Deutsche sitzen vor dem Fernseher und verfolgen, wie Günther Jauch Yanis Varoufakis und den Stinkefinger vorführt - hält Sigmar Gabriel in Homburg im Saarland eine Laudatio auf Glenn Greenwald, der dort mit dem „Siebenpfeiffer-Preis 2015“ ausgezeichnet wird. Der Preis wird für Veröffentlichungen verliehen, „die das demokratische Bewusstsein in unserer Zeit fördern“. Wenige Tage später, am 19. März, veröffentlicht Glenn Greenwald auf „The Intercept“, dem Internetportal, das die Snowden-Dokumente publiziert, einen Artikel. Im Anschluss an den offiziellen Teil der Veranstaltung, so schreibt Greenwald, habe er Gabriel „gedrängt“, ihm zu erklären, warum Snowden nicht in Deutschland Asyl erhalte. Darauf habe Gabriel gesagt, die US-Regierung habe den Deutschen „aggressiv“ gedroht, sie von jeglichem Austausch nachrichtendienstlicher Informationen „abzuschneiden“, sollte Snowden in Deutschland aufgenommen werden.

Sigmar Gabriel äußert sich dazu nicht

Sollte Gabriel das tatsächlich gesagt haben, wäre es gleich mehrfach brisant. Zum einen der Sache wegen: Drohten die USA ihrem deutschen Partner indirekt, sie einer erhöhten Terrorgefahr auszusetzen? Und wenn ja: Warum teilt Sigmar Gabriel diese heikle Information jetzt mit einem Enthüllungsjournalisten?

Auf Anfrage des Tagesspiegels teilt eine Sprecherin Gabriels mit: „Sigmar Gabriel hat bei der öffentlichen Veranstaltung am 15. März 2015 auf die Rechtslage hingewiesen: Es gibt keine juristische Grundlage dafür, Edward Snowden in Deutschland Asyl zu gewähren. Alle weiteren Spekulationen erübrigen sich damit.“ Das stimmt mit Greenwalds Schilderung überein – im offiziellen Teil verwies Sigmar Gabriel auf die Rechtslage. Die Frage war allerdings, was danach gesagt wurde. Doch eine weitere, dieses Mal schriftliche Anfrage lässt das Ministerium unbeantwortet.

Ein US-Regierungsbeamter sagt, die Vorwürfe seien "haltlos"

Dementis kommen unterdessen von anderer Seite: Auf Anfrage der „Welt“ erklärte ein „hoher Regierungsbeamter“ der Obama-Regierung: „Die Vorstellung, wir würden drohen, den Austausch von Informationen einzuschränken, ist haltlos.“ Seit Mittwoch liegt außerdem eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des grünen Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz vor, die der Tagesspiegel einsehen konnte.

Von Notz ist auch Obmann der Grünen im NSA-Untersuchungsausschuss. Er fragte die Bundesregierung, ob es denn zuträfe, was Gabriel gesagt hatte, nämlich, „dass die Regierung der USA der Bundesregierung mit einem Ende der Weitergabe von Geheimdienstinformationen gedroht hat“, sollte Snowden nach Deutschland einreisen oder dort Asyl bekommen. Nein, lautet die Antwort aus dem Innenministerium. „Die in der Frage angesprochene Drohung wurde gegenüber der Bundesregierung nicht erklärt.“

Die Bundesregierung sagt auf Anfrage der Grünen, eine solche Drohung habe es nicht gegeben

Wollte Gabriel, von Greenwald bedrängt, sich also aus der Affäre ziehen, indem er den Amerikanern den Schwarzen Peter zuschob? Oder hat Greenwald sich etwas ausgedacht? Wie zur Ehrenrettung von Sigmar Gabriel verweist die Bundesregierung in der Antwort auf die Anfrage von Konstantin von Notz noch darauf, Gabriels mutmaßliche Aussage über eine amerikanische Drohung habe zumindest ihrer eigenen Einschätzung entsprochen. Das habe man bereits einmal in einer Antwort auf eine Frage der Linken von November 2014 zu Protokoll gegeben: Man habe „konkret damit rechnen“ müssen, „dass die US-Regierung ihre Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheitsbehörden zumindest vorübergehend einschränkt“, sollte Snowden nach Deutschland kommen.

Unüblich wäre eine solche Drohung jedenfalls nicht. Erst kürzlich unterrichteten der Nachrichtendienstbeauftragte der Bundesregierung, Klaus-Dieter Fritsche, und BND-Präsident Gerhard Schindler den NSA-Untersuchungsausschuss über eine sehr konkrete Drohung der Briten, gemeinsame Operationen zu beenden, sollte der Ausschuss Zugang zu Akten über eine Zusammenarbeit zwischen BND und GCHQ erlangen.

Sigmar Gabriel zwischen Regierungsbank und Rebellenglanz

Das eigentliche Problem an jenem Abend im Saarland aber war wohl, dass Gabriel als Laudator versuchte, stellvertretend für die SPD ein bisschen was vom rebellischen Glanz von Greenwald und Snowden abzustauben – und eben dennoch Vertreter eben jener Bundesregierung blieb, die eine Einreise Snowdens bislang verhindert hat und auch ansonsten die Aufklärungsarbeit des NSA-Untersuchungsausschusses nicht eben fördert.

Dass der Ausschuss Snowden tatsächlich noch hören wird, wird übrigens immer unwahrscheinlicher, auch wenn Grüne und Linke ihr Ansinnen, den Whistleblower nach Deutschland zu holen, noch nicht aufgegeben haben. Ein Kompromiss mit den Regierungsfraktionen sah zwischenzeitlich vor, eine Reise des Ausschusses nach Moskau zu organisieren, der Termin dafür, zwischenzeitlich einmal angedacht für Oktober 2014, verstrich allerdings, ohne dass irgendwelche Reisevorbereitungen bemerkbar gewesen wären. Dass der Ausschuss angesichts der derzeitig angespannten Lage in den deutsch-russischen Beziehungen noch nach Moskau reist, ist sehr unwahrscheinlich.

Die Grünen wollen vor dem BGH weiterklagen, um Snowden nach Deutschland zu holen

Eine Klage der Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht, um die Ladung Snowdens zu erzwingen, war im Dezember gescheitert. Grüne und Linke sehen ihre Oppositionsrechte wegen der Weigerung der Regierungsfraktionen, Snowden als Zeugen in Deutschland zu hören, eingeschränkt. Doch das Bundesverfassungsgericht befand sich für nicht zuständig und verwies auf den Bundesgerichtshof. Konstantin von Notz sagte nun, man werde in der Sache weiter „parlamentarisch nachhaken und auch zukünftig für unsere Rechte, notfalls auch gerichtlich, streiten.“ Die Fraktion bereitet derzeit den Gang vor den BGH vor.

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