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Die Menschenrechtlerin Tanya Lokshina hat Edward Snowden am Flughafen in Moskau getroffen.

© dpa

Edward Snowden in Moskau: Ein Treffen mit dem meistgesuchten Mann der Welt

Tanya Lokshina war eine der Menschenrechtlerinnen, die Edward Snowden am Flughafen in Moskau getroffen haben. Ihre Erfahrungen hat sie aufgeschrieben.

Als ich am Donnerstag eine Email von einem gewissen „Edward Snowden“ bekam, war ich natürlich skeptisch. Die Einladung - angeblich von einem der meist gesuchten Menschen der Welt - hatte einen Hauch vom Kalten Krieg, wie man ihn aus Spionage-Romanen kennt. Die Mail wies mich an, mich zur Eingangshalle am Moskauer Flughafen Scheremetiwo zu begeben, wo mich „jemand vom Flughafen Personal erwartet, der ein Schild mit der Aufschrift ,G9‘ trägt“

Was würden Sie davon halten? 

Selbst als ständig Anrufe von Medienvertretern bei mir eingingen, dachte ich immer noch, alles könnte nur ein Fake sein. Während ich gleichzeitig mein Kind mit Mohrrübenbrei fütterte und mit einem BBC-Journalisten sprach - Journalisten und Babys sind ja gleichermaßen unterstützungsbedürftig - dachte ich noch immer: Das kann nicht wahr sein.

Dann klingelte das Telefon. 

Es war die Sicherheitsbehörde des Flughafens, die mich nach weiteren Details und meiner Passnummer fragte. In dem Moment war mir klar: Es stimmt. Der meist gesuchte Mann der Welt will mich treffen.

Mein Telefon klingelte ununterbrochen. Zwischenzeitlich dachte ich sogar, ich würde das Treffen verpassen. Die Anfragen der Medien kamen in so kurzen Abständen, dass mir keine Zeit blieb, mich anzuziehen und aufzubrechen. Endlich schaffte ich es, meine Sachen zu packen und erreichte in letzter Minute den Zug zum Flughafen. 

Anruf von der US-Botschaft: "Snowden ist ein Verbrecher."

Noch auf dem Weg erreichte mich ein weiterer Anruf. Diesmal von jemand völlig anderem: der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika. Ob ich die Position der USA verstanden hätte, wollten sie wissen. Dass Snowden kein Menschenrechtsaktivist war, sondern ein Verbrecher, der zur Verantwortung gezogen werden müsse?

Ich antwortete, dass die offizielle Position von Human Rights Watch dazu bereits vor Wochen in einem Statement veröffentlich worden sei. Der Botschaftsmitarbeiter erklärte mir, dass den USA unsere Position bekannt sei. Trotzdem solle ich auch die offizielle Haltung der USA an Snowden übermitteln. Ich war überrascht von dieser Bitte, entschied mich aber, es Snowden gegenüber zu erwähnen. Es erschien mir nur fair, ihm von diesem Anruf zu berichten.

Die Situation am Flughafen war mit nichts vergleichbar, was ich bisher erlebt hatte. Ich bin an Menschenmengen gewöhnt - auch an Journalisten. Doch was ich dort sah, war Wahnsinn: Ein Gewirr schreiender Menschen, Attacken mit Mikrofonen, unzählige Kameras, russische und internationale Medien. Ich fürchtete in diesem Wirrwarr unterzugehen.  

Er wirkt jung - wie ein Schulkind

Ich bahnte mir meinen Weg zum Personal-Terminal F. Tatsächlich war dort ein Mann mit einem Schild: „G9“. Genau wie sie gesagt hatten. Also wurde ich zusammen mit acht Anderen - darunter der russische Ombudsmann, ein Mitglied des Parlaments und Repräsentanten weiterer Menschenrechtsorganisationen - zu einem anderen Eingang gefahren. Wir gingen rein - und dort stand er: Edward Snowden. Er wartete auf uns. Zusammen mit irgendjemandem von Wikileaks und einem Übersetzer. 

Das erste, was ich dachte, war: Wie jung er aussieht - wie ein Schuljunge. 

Fotografieren verboten

Ich schaffte es, zwei Bilder zu machen und zu meinen Kollegen bei Human Rights Watch zu schicken, damit sie es auf Twitter posten konnten - kurz gesagt wurde, dass Fotos verboten seien. 

Das Treffen dauerte eine Stunde. Er las uns sein Statement vor und sagte, er sei bereit, Fragen zu beantworten. Er forderte uns auf Petitionen an die USA und europäische Staaten zu richten, ihm Reisefreiheit zu ermöglichen. Unter den gegebenen Umständen, sagte er, habe er keine andere Möglichkeit gehabt als in Russland um Asyl zu ersuchen. Er könne sich nicht über die Wohnverhältnisse am Flughafen beschweren und sei bei guter Gesundheit, sagte er. Aber er könne nicht für immer am Moskauer Flughafen bleiben.

Die einzige Möglichkeit seine Sicherheit zu garantieren, sei in Russland Asyl zu beantragen, meinte er. Daher auch sein zweiter Wunsch: Bitte fordert den Kreml auf, meinen Antrag zu unterstützen.

Und das obwohl er letztendlich nach Lateinamerika weiter wolle, wie er mehrfach unterstrich, und dass Russland nur eine vorübergehende Lösung sei.

Dann gingen wir, genau wie wir gekommen waren, entlang der Korridore und wieder durch diesen unglaublichen Medienrummel. In Moskau ist es jetzt Mitternacht - und ich habe immer noch nicht gefrühstückt.

Tanya Lokshina ist Programmdirektorin für Human Rights Watch in Russland. 

Dieser Artikel erschien bei Human Rights Watch. Übersetzung aus dem Englischen von Sidney Gennies

Tanya Lokshina

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