zum Hauptinhalt
Edzard Reuter ist in der Türkei aufgewachsen. Seine Eltern waren Verfolgte.

© Kai-Uwe Heinrich

Edzard Reuter und die Türkei: Schöne Erinnerungen und schmerzhafte Gedanken

In Berlin wird ein türkischer Film über die Kindheit und Jugend Reuters gezeigt. Es ist ein Abend mit zwiespältigen Gefühlen. Ein Ortstermin.

Eine Mischung aus Zorn und Verzweiflung, aus schönen Erinnerungen und trotzigem Beharren auf den Glauben an ein gutes Ende – das ist es, was man in diesen Tagen immer wieder spürt, wenn sich Menschen mit türkischen und deutschen Wurzeln begegnen. Es gibt so viel Gemeinsames, so viel, was uns bei allen Unterschieden der Kulturen verbindet – diese Grundstimmung schwang auch am Dienstagabend mit, als sich in der traditionsreichen Akademie der Künste am Hanseatenweg Freunde Edzard Reuters zu einer Filmpremiere trafen. 400 werden es wohl gewesen sein, quer durch alle Altersschichten, beider Nationalitäten, die der ersten Aufführung eines Streifens mit dem zunächst rätselhaften und am Ende doch sich so leicht erklärenden Titel „Edzard Reuter - Beine wie ein Storch“ beiwohnen wollten.

Brücken bauen

Möglich gemacht hat den Film über Edzard Reuters Kinder- und Jugendjahre in der Türkei das vom Staat finanzierte Yunus-Emre-Institut, so etwas wie das Goethe-Institut des Landes. Darf man in diesen Tagen der Unterdrückung von Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei einen Film anschauen, den eben dieser Staat finanziert hat? Edzard Reuter, von 1935 bis 1946 dort aufgewachsen, intoniert seine Seelenzweifel selbst: „Das tut mir weh. Da werden die Menschenrechte auf den Kehricht geworfen. Aber meine Eltern verdanken ihr Leben diesem Land, ich meine Jugend. Und ich danke dem Institut für seinen Mut.“ Den brauchte es wohl auch, denn der Leiter des Emre-Enstitüsü lässt sich bei der Begrüßung durch eine Mitarbeiterin vertreten – um dann doch eine Stunde später Edzard Reuter ein kostbares Geschenk als Dank für sein Engagement in der Türkei zu überreichen. Reuter, heute 89 Jahre alt, fördert nach Kräften die 2010 gegründete Türkisch-Deutsche Universität in Istanbul. Aber sechs Mitarbeiter dieser Hochschule wurden Opfer Erdogan’schen Verfolgungswahns. Und am Tage der Filmvorführung wird in der Türkei der Berliner Menschenrechtler Peter Steudtner verhaftet.

Andreas Görgen, Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes, thematisiert das, sichtlich angefasst, in seinem Grußwort, als er erst allen für ihr Engagement für die Beziehungen beider Länder dankt und dann eindringlich das Bemühen der Bundesregierung um die Freilassung Peter Steudtners schildert. Aber, weil Diplomaten eben eher Brücken bauen als abbrechen, fügt er dann hinzu: „Wir wollen die Zeiten nicht vergessen, in denen Deutsche in der Türkei Schutz fanden. Heute müssen wir auf die Zusammenarbeit mit der Türkei setzen.“

Die Eltern mussten vor den Nazis fliehen

Er meint damit wohl jene Türkei, die an diesem Abend am Hanseatenweg präsent war und sich so wie die Deutschen im Saal durch Moderator Ali Aslan und Regisseur Dirk Schäfer einstimmen ließen in die Atmosphäre eines Films, der private Filmaufnahmen aus Reuters Jugend in Ankara mit aktuellen Einstellungen und Kommentaren verband. Wann der Film, der auch das Porträt einer Generation Verfolgter ist, verfolgter Deutscher damals, wieder zu sehen sein wird, ist unklar. Bei Arte oder Phoenix könnte, sollte er einen Platz finden.

Für den Vater, Ernst Reuter, den Wissenschaftler und späteren Regierenden Bürgermeister Berlins und dessen Frau Hanna, Edzards Mutter, war die Türkei nur eine Episode. Sie mussten vor den Nazis fliehen, nur die Türkei gewährte ihnen ein Dach über dem Kopf. Für Sohn Edzard war es die ganze Kindheit. Zu der ein herrliches Spottgedicht türkischer Kinder über den hoch aufgeschossenen Jungen aus Deutschland zählt – gewidmet dem „Edzard mit den blonden Haaren und den Storchenbeinen“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false