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Laut und vernehmlich Ja zueinander sagen, das erfordert Mut.

© Michael Reichel, picture alliance / dpa

Ehe für alle: Von den Grenzen der sexuellen Selbstbestimmung

Die "Ehe für alle" kommt. Doch die Debatte darüber hat gelehrt, dass es weniger um Liebe und Gleichberechtigung geht als um Macht und Konventionen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Das war’s. Ende der Debatte. Die „Ehe für alle“ kommt. Angela Merkel überlässt das Thema der Gewissensentscheidung der Unions-Abgeordneten. Eine Mehrheit im Parlament ist sicher, und diese Mehrheit entspricht einer Mehrheit in der Bevölkerung. Also ist klar: Schwule und Lesben dürfen bald heiraten, mit allen Rechten und Pflichten. Sie dürfen laut und verbindlich Ja sagen zueinander – und zu einem gemeinsamen, lebenslangen Weg. Sie dürfen sich das Wort geben, das großen Mut verlangt, weil sich in einer Ehe zwei Menschen auf eine gemeinsame Zukunft festlegen, ohne Grundlage und Bedingungen dieser Zukunft kennen zu können. Schon seltsam, dass ausgerechnet Konservative den Homosexuellen diese Möglichkeiten und Rechte lange Zeit verwehrten.

Der Weg zur vollen rechtlichen Gleichstellung war lang und bitter. Er begann mit Verbot, Verfolgung und Zwangskastrationen. Er setzt sich bis heute fort über aggressive Formen der Homophobie bis hin zu subtilen Diskriminierungen. Der Kampf dagegen hört nicht auf und bleibt von hoher gesellschaftlicher Relevanz. Klar sollte auch sein, dass die „Ehe für alle“ das volle Adoptionsrecht einschließen muss. Adoptivkinder sind Wunschkinder. Ihnen wird in aller Regel extrem viel Liebe, Hinwendung und Fürsorge entgegengebracht. Studien belegen, dass das auch für homosexuelle Paare gilt. Das Wohl des Kindes hängt nicht davon ab, dass dessen Eltern unterschiedlichen Geschlechts sind.#

Was aber ist die „Ehe für alle“? Es sind damit durchaus ja nicht all jene gemeint, die einander aufrichtig lieben und deren Liebe keinen anderen Menschen schädigt. Das volle Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und Eheschließung beschränkt sich nach wie vor auf zwei erwachsene Personen. Polyamorös lebenden Menschen, die eine Mehrfachehe eingehen wollen, wird dies ebenso verweigert wie Verwandten in gerader Linie. Eltern und Großeltern dürfen keinen Sex mit Kindern und Enkeln haben, selbst wenn diese volljährig sind. Leiblichen Geschwistern ist und bleibt der Geschlechtsverkehr ebenfalls verboten.

Das Argument vom drohenden Dammbruch

Darauf hinzuweisen, bedeutet nicht, das oft von Homo-Ehe-Gegnern bemühte Argument vom drohenden Dammbruch zu reaktivieren, nach dem Motto: Wenn erst die Homo-Ehe erlaubt ist, gibt es auch bald Inzest und Polygamie. Solche Ängste sind unbegründet. Die diesbezüglichen Tabus sind in Deutschland tief verankert. Als die saarländische Ministerpräsidenten Annegret Kramp-Karrenbauer einst die Homo-Ehe mit Inzest und Polygamie verglich, brach ein Entrüstungssturm über sie herein.

Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. In Frankreich, den Niederlanden, Japan, Spanien, Portugal und der Türkei etwa ist der Inzest nicht verboten. Auch der Deutsche Ethikrat plädiert für eine Entkriminalisierung. Denn es fällt schwer, rationale Gründe für ein Verbot zu finden, die mehr sind als bloße normative Setzungen. Das zweifellos erhöhte Risiko, erblich belastete Kinder zu zeugen, trifft auf viele Behinderte und Frauen über 40 ebenso zu, denen weder die Ehe noch das Recht auf Nachkommenschaft verwehrt wird. Warum dürfen die einen und die anderen nicht?

Warum muss die Ehe auf zwei erwachsene Menschen beschränkt bleiben?

Kaum mehr als eine heteronome Setzung ist auch der Ausschluss der Polygamie. Warum muss die Ehe auf zwei erwachsene Menschen beschränkt bleiben? Kann es nicht auch Fälle geben, in denen die Geliebte eines verheirateten Mannes (oder der Geliebte einer verheirateten Frau) innerhalb der Ehe rechtlich überhaupt erst abgesichert ist?

So steht womöglich am Ende der Debatte über die Homo-Ehe die Erkenntnis, dass es in Fragen der Ehe- und Sexualmoral weniger um Liebe, Autonomie und Gleichberechtigung geht als vielmehr um gesellschaftliche Machtverhältnisse, Konventionen und kulturelle Prägungen. Die Homo-Ehe zu befürworten, aber Inzest und Polygamie abzulehnen, ist eine Haltung, die zwar die ethisch akzeptierte Lebenswirklichkeit widerspiegelt, sich aber einer moralisch rationalen Letztbegründung entzieht.

Die Homo-Ehe gehört bald zur deutschen Leitkultur. Das ist gut und richtig. Zu dieser Leitkultur muss indes auch die Einsicht gehören, dass Tradition, Herkunft, Religion und Kultur eine normative Welt konstituieren, die zu verändern es eines sehr langen Atems bedarf. Sexuelle Selbstbestimmung ist kein absolut geltender Wert. Sie muss in eine Balance gebracht werden mit heteronomen Kategorien, die zum identitätsstiftenden Fundament einer Gesellschaft gehören. Nur dann kann Veränderung gelingen.

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