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EHEC-Infektionen: Die Suche nach der Ursache

Niemand weiß, wo er herkommt. Niemand weiß, wie er übertragen wird. Was ist über den Erreger bekannt?

Die Experten sind beunruhigt, die Verbraucher verstört. „Die aktuelle Lage gibt Anlass zur Besorgnis“, sagte Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner am Mittwoch. Die Infektion breitet sich rasch aus, hat oft einen schweren Verlauf – vor allem aber ist die Quelle des Keims und damit auch der Übertragungsweg noch immer unbekannt. Nach jüngsten Angaben des Robert-Koch-Instituts sind als Folge der EHEC-Infektion seit der zweiten Märzwoche rund 140 Menschen an dem hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) erkrankt, das zu akutem Nierenversagen und sogar zum Tod führen kann.

Was ist die Ursache der Krankheit?

Die Infektionsquelle ist nach wie vor ungewiss. Eine erste statistische Auswertung von Befragungen, die in den letzten Tagen in Hamburg durchgeführt wurden, wiesen nicht eindeutig auf ein bestimmtes Lebensmittel hin, hieß es am Mittwoch aus dem Robert-Koch-Institut (RKI). Dafür haben die Experten aber mittlerweile genauere Erkenntnisse über den Erreger. Der EHEC-Erreger, der zurzeit in Deutschland grassiert, gehört offenbar zu einem seltenen Stamm. Das haben erste Untersuchungen des Nationalen Referenzlabors für EHEC-Infektionen in Wernigerode ergeben: Bei fünf Patienten seien EHEC-Erreger vom Typ O104 gefunden worden. Am RKI hofft man nun, dass weitere Proben diesen Verdacht erhärten. „Aber im Moment deutet alles darauf hin, dass ein E.coli O104 Ursache der Infektionen ist“, sagte Klaus Stark, Arbeitsgruppenleiter für gastrointestinale Infektionen und Zoonosen am RKI dem Tagesspiegel. Dieser E.coli-Typ gehört nicht zur „Fünferbande“ von EHEC-Keimen, die in Europa die meisten Erkrankungen verursachen. „Dieser Erreger ist äußerst selten“, sagt Helge Karch, Leiter des Konsiliarlabors für HUS an der Universität Münster. Er könne noch nicht bestätigen, dass O104 wirklich der Erreger sei, sagte Karch. „Es handelt sich bei diesem Ausbruch aber in jedem Fall um einen sehr seltenen Erreger.“ Das hätten Tests in seinem Labor ebenfalls gezeigt. Der Krankheitserreger E.coli O104 fiel erstmals 1994 auf. Damals erkrankten im Februar und März mehrere Menschen in Helena, Montana (USA). Sie litten unter schweren Magenkrämpfen und blutigem Durchfall, vier von ihnen kamen ins Krankenhaus. Als Quelle der Infektion vermuteten die Seuchenexperten Milch. Fast alle Erkrankten tranken zu Hause Milch derselben Marke. Der Erreger konnte aber weder in der Molkerei noch bei den Kühen nachgewiesen werden. Interessanterweise traf es ähnlich wie jetzt in Deutschland, mehr Erwachsene als Kinder und mehr Frauen als Männer.

Erleichtern diese Erkenntnisse die Suche?

Lothar Beutin, EHEC-Experte am Bundesinstitut für Risikobewertung, glaubt, dass der seltene Erreger die Suche nach der Infektionsquelle zunächst erschweren könnte. „E.coli O104 ist sehr schwer von normalen E.coli-Bakterien zu unterscheiden“, sagte er. Es gelte jetzt, möglichst schnell einen guten Test für das Bakterium zu entwickeln. Gelingt das, könnte es die Untersuchung des EHEC-Ausbruches dann sogar erleichtern. Denn der seltene Erreger bedeutet auch, dass Ärzte gut unterscheiden können, welche Fälle zum aktuellen Ausbruch gehören und auf eine gemeinsame Quelle zurückzuführen sind und welche nur zufällig zur gleichen Zeit auftreten.

Sind Bio-Produkte besonders betroffen?

Der stellvertretende Geschäftsführer vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft, Peter Röhrig, weist Spekulationen zurück, wonach der Öko-Landbau wegen der Verwendung von Gülle-Dünger ein besonderes Risiko für EHEC-Infektionen berge. Zum einen werde grundsätzlich weder in der konventionellen noch in der ökologischen Landwirtschaft Gemüse in der Vegetationsphase mit Gülle oder Mist gedüngt. „Damit schaden sich Landwirte mehr, denn dadurch werden die Pflanzen verätzt und Schädlinge vermehren sich besser“, so Röhrig. Mit Gülle gedüngt werde höchstens vor der Aussaat. Darüber hinaus werde speziell in der ökologischen Landwirtschaft wenig mit Gülle gedüngt. Gülle entsteht, wenn Tiere auf Spaltenböden stehen, unter denen ihre Ausscheidungen gesammelt werden. Das komme eher in der konventionellen Landwirtschaft vor.

Es mache keinen Sinn, einseitig die Gülle in den Fokus der Ursachensuche zu nehmen. Röhrig räumt aber ein, dass der Grund durchaus in der Gülledüngung liegen könne. Dann müsse aber irgendwo ein Fehler passiert sein oder ein Nachbarfeld wurde mit Gülle gedüngt.

Warum ist die Ursache so schwer zu finden?

Das Problem liege vor allem im untypischen Verlauf der Infektionen, sagte Thomas Alter vom Institut für Lebensmittelhygiene der FU Berlin. Dass vor allem Erwachsene und dabei wiederum Frauen betroffen seien und es quasi eine deutschlandweite Verbreitung gebe, erschwere die Identifizierung des Verursacher-Lebensmittels. Es gebe eben nicht einen gemeinsamen Ort, wo die Waren gekauft oder konsumiert worden seien. In einem aufwändigen Verfahren müssten Gesundheits- und Hygienebehörden zunächst Parallelen in den Fälle ermitteln. In Fragebögen werde von den Betroffenen ermittelt, wer wann wo was gegessen habe. Daraus werde praktisch eine Art Steckbrief erarbeitet. Hinzugerechnet werden müsse ja auch die Zeit, die für die Diagnostik bei den einzelnen Patienten vergehe.

Wie reagieren die Essensanbieter?

Der Service-Dienstleister Sedexo liefert keine Rohkost mehr an seine 412 Essensbetriebe in ganz Deutschland. 19 Mitarbeiter aus Unternehmen, in denen Sedexo Kantinen betreibt, waren an den EHEC-Keimen erkrankt. Der Kantinenbetreiber lässt als Vorsichtsmaßnahme nun seine Salate nicht mehr vor Ort von den Mitarbeiter waschen, sondern liefert abgepacktes Gemüse, das zuvor industriell gewaschen und geschnitten wurde. Auf Gemüse an sich wird also nicht verzichtet. Doch auch Lieferanten, die nicht direkt von dem Erreger betroffen sind, reagieren auf besorgte Kunden: Der Feinkosthändler Käfer beispielsweise, der unter anderem den Bundestag beliefert, legt keine Gurkenscheiben, Tomaten und Salatblätter mehr auf vorbereitete Brötchen. „Die Leute fühlen sich momentan unwohl, wenn sie nicht selbst entscheiden können, ob sie Salat essen oder nicht“, sagte eine Sprecherin des Unternehmens.

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