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Vor Angela Merkel liegt viel Arbeit.

© dpa

Ehegattensplitting, Praxisgebühr, Rente...: Die Baustellen der Kanzlerin

Merkel droht ein einsamer Herbst – in den eigenen Reihen schwindet der Rückhalt für ihre Europapolitik. Doch das ist nicht Merkels einzige Baustelle: Vor der frisch aus dem Urlaub Zurückgekehrten liegt ein Haufen Arbeit. Unerfreuliche Arbeit.

Von Antje Sirleschtov

Wenn es um den ersten Arbeitstag nach dem Sommerurlaub geht, unterscheidet sich die Bundeskanzlerin offensichtlich kein bisschen von anderen Menschen. Man kommt nach drei Wochen Erholung zurück, und das Letzte, was man am ersten Tag gebrauchen kann, sind Neuerungen. Zumal solche, die der eigene Stellvertreter, im Fall von Angela Merkel ihr Vizekanzler Philipp Rösler, in der Zwischenzeit versucht hat einzuführen.

Mit „viel Tatkraft und viel Energie“ sei Angela Merkel am Montag an ihren Schreibtisch im Kanzleramt zurückgekehrt, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert, und sogleich durfte man sich an ein Haus erinnert fühlen, in das die Katze nach dreiwöchiger Abwesenheit zurückkehrt und in dem in der Zwischenzeit die Mäuse tanzten.

Merkel sorgte sofort für reinen Tisch: Gewährung des Ehegattensplitting auch für Homo-Ehen? Immer langsam, wies Merkel das zeitliche Drängen ihres Vizekanzlers von der FDP und einiger Unionsabgeordneter zurück. Zunächst wolle sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten, das 2013 erwartet wird, und danach entscheiden, wie es weitergeht.

Abschaffung der Praxisgebühr? Auch diese Forderung des kleinen Koalitionspartners FDP wies Merkel unmittelbar zurück. Es bestehe derzeit kein Anlass zur Abschaffung der umstrittenen Praxisgebühr, sagte ihr Sprecher. Die Kanzlerin sehe die von den Patienten zu leistende Zahlung „nicht zur Disposition gestellt“.

Und auch beim Thema Aufstockung der Renten von Niedrigverdienern hat die Bundeskanzlerin jeden möglichen Versuch der Liberalen, sich in der Sommerpause auf Kosten der Union bei den eigenen Anhängern zu profilieren, sofort im Keim erstickt. Die Bundeskanzlerin befürwortet sowohl eine Rentenbeitragssenkung als auch die von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) vorgelegte Reform gegen Altersarmut. Nach Merkels Meinung solle „jeder, der ein Leben lang voll gearbeitet hat, eine Rente über der Grundsicherung erhalten“, sagte Seibert. Für die FDP ist Leyens „Zuschussrente“ hingegen eine neue und unnötige Sozialausgabe. Man darf gespannt sein auf das nächste Treffen der drei Spitzen der Koalition.

Abgesehen von derlei Sommerthemen steht der Regierungschefin in diesem Herbst eine entscheidende Phase ihrer zweiten Kanzlerschaft bevor. Und zwar nicht wegen offener innenpolitischer Fragen wie dem NPD-Verbotsverfahren, der Vorratsdatenspeicherung, anstehender Gesetze über Sterbehilfe oder Beschneidung.

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Brenzlig wird es insbesondere in der Europapolitik. Während Merkel sich bislang auf den Rückhalt in der Koalition und die Unterstützung von SPD und Grünen bei Rettungsschirmen und Fiskalpakt weitestgehend verlassen und damit bei den Bürgern den Eindruck verstärken konnte, sie stehe für eine solide – wenn auch nicht überzeugende – Politik der Sicherung deutscher Währungsinteressen, droht nun das Bild der Sicherheitskanzlerin zu zerbröseln.

Zunächst stehen zwei zentrale Fragen an: Erklärt das Bundesverfassungsgericht den Europäischen Fiskalpakt und damit Merkels Credo von der Eindämmung staatlicher Schuldenmacherei für verfassungswidrig? Ein solches Urteil, das für den 13. September erwartet wird, käme für die Kanzlerin kurz vor Beginn des Bundestagswahljahrs einem politischen Fiasko gleich.

Beinahe zeitgleich wird Merkel auch bei der Entscheidung über die Zukunft Griechenlands Farbe bekennen müssen. Wobei jedes Zugeständnis an die Griechen ihren Ruf der Wahrerin deutscher Interessen beschädigen kann oder sie, im anderen Fall, zur restlos versteinerten Kanzlerin machen könnte, die die Griechen eiskalt fallen lässt.

Auf jeden Fall muss Merkel damit rechnen, dass Entscheidungen im Parlament nicht mehr so reibungslos über die Bühne gehen wie in den vergangenen Jahren. Denn nicht nur in ihrer Koalition schwindet die Bereitschaft dazu bedenklich. Auch bei der SPD ist das bekannte Prinzip „wettern und dann doch mitstimmen“ an ein Ende gelangt. Deren Generalsekretärin Andrea Nahles kleidete das am Montag noch in einen allgemeinen Aufruf. Merkel müsse sich zu einer gemeinsamen Schuldenhaftung bekennen, statt in Deutschland „die harte, eiserne Sparkanzlerin“ zu geben und auf internationaler Ebene (über die Akzeptanz von Staatsanleihenkäufen durch die Europäische Zentralbank) die faktische Einführung von gemeinschaftlicher Haftung zuzulassen. Diese „Doppelstrategie werden wir nicht mehr mittragen können“, warnte Nahles in Berlin. Was für die Urlaubsheimkehrerin Merkel hieße: Dieser Herbst könnte ein sehr einsamer sein.

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