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Ehegesetz: Afghanische Lehren

Nicht nur in der westlichen Welt, auch unter den Schiiten ist der Entwurf für ein neues Ehegesetz umstritten. Ein Besuch in Kabul.

Afghanistan steht eine neue Welle von Vergewaltigungen bevor. Und seine Schiiten scheuen vor nichts zurück, um das Land per Ehegesetz zurück in eine finstere Vergangenheit zu bringen. Dieses und ähnliche Bilder verfestigen sich, seit der Streit um das umstrittene Ehe- und Familiengesetz weltweit Schlagzeilen gemacht hat. Aber stimmt der Eindruck überhaupt?

Der Westen macht es sich leicht. Eine kleine Gruppe radikaler Geistlicher wird mit einem Land und seiner vermutlich fortschrittlichsten Bevölkerungsgruppe gleichgesetzt. Tatsächlich vertreten Afghanistans Schiiten, von denen der größte Teil der Ethnie der Hazara angehört, vergleichsweise offen Positionen in Fragen der gesellschaftlichen Moral.

Die Hazara, die rund zwölf Prozent der Bevölkerung ausmachen, haben per Verfassung das verbriefte Recht, ein eigenes Familiengesetz zu formulieren, da die afghanische Verfassung sich an der Auslegung für die sunnitische Mehrheit orientiert. Zu einem nuancierten Blick auf das umstrittene Regelwerk gehört auch die Rolle des Iran. Der Ayatollah Mosheni, der in deutschen Berichten als „Führer der afghanischen Schiiten“ bezeichnet wird, genießt kaum Rückhalt in der Bevölkerung. „Die Mehrheit der Schiiten lehnt seinen Führungsanspruch ab. Er hat eine Vergangenheit als Mujahed-Kämpfer und er ist ein Paschtune, wie Präsident Hamid Karsai stammt er aus Kandahar. Die meisten Schiiten sind Hazara und trauen ihm deshalb nicht“, sagt Ali Karimi, Dozent an der Universität Kabul.

„Mosheni steht für eine politisch-ideologische Auslegung des Islam wie sie im Iran praktiziert wird. Er hat 20 Jahre dort im Exil gelebt“, sagt Ali Amiri, ein säkularer Schiite. Er ist Dozent an der Kabuler Kateb-Hochschule, an der neben Naturwissenschaften und westlichem Zivilrecht auch islamisches Recht unterrichtet wird. Amiri gehört zum liberalen Flügel der Schiiten. Die Ulama, der Rat der Geistlichen und Intellektuellen, dem er sich zugehörig fühlt, streitet bereits seit Monaten mit der konservativen Ulama des Ayatollah Mosheni über die Auslegung des Gesetzes. „Es gibt zehn Punkte in dem 120 Seiten langen Gesetz, die für uns liberale Schiiten inakzeptabel sind. Wir kämpfen darum, dass sie aus dem Gesetz gestrichen werden“, meint er.

Neben den umstrittenen Punkten, die international für Aufsehen sorgen, sind dies laut Amiri vor allem das Recht von Mann und Frau, sich unabhängig vom Vater einen Ehepartner auszuwählen, das unveränderte Recht auf Grund- und Bodenbesitz für Eigentümer, die als drogenabhängig gelten und die Übergabe von Grund und Boden im Falle an den Staat statt an eine Ulama aus schiitischen Geistlichen – für den Fall, dass keine Erben vorhanden sind.

„Die konservativen schiitischen Geistlichen, die das umstrittene Gesetz entworfen haben, sitzen am Khatam-Al- Nabi’in-Seminar.“ Der Bau mit seiner großen blauen Kuppel ragt neben dem Parlament wie eine Antwort auf die Demokratie aus dem Häusermeer von Kabul. Er sei allein mit iranischen Geldern finanziert, sagt Amiri mit Verweis auf die Gegner in den Reihen der Schiiten.

Amiri trägt ein Ringbuch unter dem Arm. Darin ist in einer Spalte der umstrittene Gesetzestext abgedruckt. In einer zweiten Spalte stehen die Alternativvorschläge seiner säkularen Ulama, und in der dritten Spalte die inhaltliche Begründung für die Alternativvorschläge. „Wir brauchen eine moderne, rationale Auslegung des Islam“, meint der Dozent der Kateb-Hochschule. „Die jungen Menschen haben viele Fragen an den Islam und ihre eigene Religion. Wir müssen sie argumentativ überzeugen, nicht mit Traditionen und Ritualen.“

Amiri hat über Wittgenstein promoviert. Er ist ein Freund der Philosophie. „Eigentlich“, sagt er, „bedarf es keiner Institutionen, um seinen Glauben zu leben. Es reicht der direkte Bezug zu Gott.“ Der hilft freilich wenig bei den Bemühungen, das Gesetz möglicherweise noch abzuändern. Derzeit berät eine Runde unter Führung des afghanischen Justiz-, und des Außenministers. „Ich hoffe, das Gesetz kann entschärft werden“, erklärt Amiri. Afghanistan und seine Schiiten würden dann, so hofft er, wieder in einem besseren Licht dastehen.

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