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(Von links) THEODOR HEUSS, HEINRICH LÜBKE, GUSTAV HEINEMANN, WALTER SCHEEL, KARL CARSTENS, RICHARD VON WEIZSÄCKER, ROMAN HERZOG , JOHANNES RAU, HORST KÖHLER, CHRISTIAN WULFF

© dpa

Ehemalige Bundespräsidenten: Wie haben sie das Amt geprägt?

Zehn Präsidenten haben das Amt geformt. Joachim Gauck muss nach der Wahl seinen eigenen Weg finden. Doch andere haben bereits Grenzen gezogen.

In einem Punkt zumindest sticht Joachim Gauck, wenn er an diesem Sonntag gewählt wird, aus der Reihe der Bundespräsidenten heraus: Er wird mit seinen 72 Jahren das bei Amtsantritt älteste Staatsoberhaupt sein. Der fehlgeschlagenen Verjüngungskur mit dem bis dahin jüngsten Präsidenten Christian Wulff folgt nun die Gegenbewegung. Keine junge Familie mehr, kein kleiner Linus, der durch die Flure in Bellevue flitzt. Der Amtssitz wird wieder, pardon, zur Seniorenresidenz. Freilich mit einem mutmaßlich ziemlich rüstigen Hausherrn.

Der elfte Präsident wird das Amt nach seiner Fasson ausüben. Aber auch er muss sich in den Grenzen bewegen, die ihm nicht nur per Verfassungstext auferlegt sind – sondern auch durch die Amtsführung der Vorgänger. Und über die 63 Jahre des Bestehens der Bundesrepublik hinweg ist die Bedeutung des Präsidentenamtes nicht gewachsen. Die im Grundgesetz zwar angelegte, aber keineswegs zwangsläufige Nachrangigkeit des formell höchsten Staatsamtes im Vergleich der Verfassungsorgane unterliegt heute keinem Zweifel mehr. Das mag alle Präsidenten gestört, Horst Köhler könnte es auch zum vorzeitigen Abschied bewogen haben. Aber es lässt sich nicht mehr ändern.

Entscheidend war die verfassungspolitische Findungsphase nach 1949, als die Machtgewichte zwischen den Institutionen der jungen Republik austariert wurden. Und daher ist Theodor Heuss wohl der bedeutendste Präsident. Er hätte die Chance gehabt, mehr aus dem Amt zu machen. Aber er wollte nicht, klug geworden aus dem von ihm erlebten Fehlschlag der Weimarer Republik, als der Kanzler schwach, der Präsident stark war. Künftig sollte es umgekehrt sein. Die Bedeutung Heuss’ liegt darin, dass er die Beschränkung auf das Repräsentative und Hintergründige annahm, dass er (eitel war er schon) der Versuchung widerstand, das Amt im Konflikt mit Kanzler und Parlament wichtiger zu machen. Über die von Heuss gezogenen Grenzen konnten und wollten seine Nachfolger nicht mehr hinaus. Heuss schärfte aber auch jenes politische Instrument, das ihm als literarischem Schöngeist besonders lag und bis heute als präsidiale Hauptaufgabe gilt: die kluge, über den Tag hinausweisende Rede.

Freilich fiel Heuss die selbst auferlegte Bescheidenheit gelegentlich aber schwer. Denn wie Konrad Adenauer als Kanzler agierte (äußerst selbstbewusst, fast präsidial), das gefiel dem FDP-Mann in der Bonner Villa Hammerschmidt nicht immer. Heuss testete auch die Möglichkeiten des Grundgesetzes. So verweigerte er die Wiederernennung seines ungeliebten Parteifreundes Thomas Dehler zum Bundesjustizminister, weil der das Verfassungsgericht kritisiert hatte. Das gelang aber nur, weil Adenauer es billigte. Und der definierte den Abstand der beiden Ämter nach der Devise, der Präsident habe so viel Macht, „wie der Bundeskanzler schlechte Nerven hat“. Adenauer spielte dennoch mit dem Gedanken, zweiter Präsident zu werden – er war der Ansicht, Heuss habe die Möglichkeiten des Amtes nicht genutzt. Der „Alte“ war sogar der Meinung, der Präsident dürfe wichtige Kabinettsitzungen leiten. Das hat man ihm ausgeredet, wie überhaupt die Idee der Kandidatur. So folgte 1959 der bedächtige Heinrich Lübke auf Heuss. Doch war Lübke keineswegs jener blasse Präsident mit Neigung zu Stilblüten, als der er heute zu Unrecht in Erinnerung ist. Lübke hatte ein recht aktives Amtsverständnis, wollte früh eine große Koalition auf den Weg bringen, den Außenminister Gerhard Schröder verhindern, mehr Einfluss nehmen. Aber vergeblich. Immerhin verweigerte Lübke erfolgreich die Ernennung eines NS-belasteten Kandidaten für den Bundesgerichtshof. Mit ihm begann auch die Tradition, dass die Präsidenten eine außenpolitische Aufgabe übernehmen. Lübke wählte für sich das Reisen durch die jungen Staaten Afrikas.

Lesen Sie auf Seite 2, was sich mit Heinemann änderte

1969 kam Gustav Heinemann ins Amt. Seine Wahl durch SPD und FDP leitete die sozialliberale Ära ein. Heinemann passte zu Willy Brandts Motto „Mehr Demokratie wagen“. Heinemann sah sich nicht als Kopf des Staatsapparats. Er liebe den Staat nicht, er liebe seine Frau, sagte er einmal. Er war der Präsident einer sich modernisierenden Gesellschaft, ein Bürgerpräsident, aber anders als „Papa“ Heuss mehr Anreger denn Belehrer. Damit öffnete er dem Amt neue Perspektiven: als gesellschaftliche „Integrationsagentur“, wie Roman Herzog später die Aufgabe umschrieb.

Wem Heinemann zu protestantisch war, der konnte mit Walter Scheel nach 1974 Lebensfreude im Amt erleben. Die Villa Hammerschmidt sei mit Scheel prächtiger, aber nicht mächtiger geworden, lautete ein Urteil. Doch Scheel nutzte das Amt auch, um auf Probleme hinzuweisen, die der Tagespolitik noch entgingen, die Umweltverschmutzung etwa. Der Präsident als Mahner – auch eine Tradition. Karl Carstens, zuvor Unions-Fraktionschef im Bundestag, kam 1979 ins Amt, ein früher Bote des Schwenks zu Schwarz-Gelb. Er war wohl der blasseste Präsident. Carstens definierte das Amt sehr zurückhaltend, selbst bei verfassungsrechtlichen Zweifeln unterschrieb er Gesetze, denn er meinte, die Klärung sei Sache des Verfassungsgerichts. Sein Nachfolger Richard von Weizsäcker wäre wohl gern ein „politischerer“ Präsident gewesen, schon wegen des Gegensatzes zu Helmut Kohl in Stil und Meinungen. Weizsäcker pflegte die geschliffene Rede, setzte Akzente jenseits der Regierungspolitik, und ergänzte damit die politische Führungsarbeit neben einem Kanzler, der seinem Amt weit weniger als seine Vorgänger eine quasipräsidiale Aura zu geben wusste. Aber auch Weizsäcker akzeptierte die eingeschliffenen Grenzen des Amtes.

Herzog und Köhler sahen sich stärker als tagespolitisch orientierte Präsidenten, mit der Aufgabe, Reformen in Einklang mit den Bundesregierungen voranzutreiben. Johannes Rau wiederum betonte mehr den zurückhaltenden Stil seines einstigen Mentors Heinemann. Gerade Köhler aber schien darauf zu zielen, die Grenzen des Amtes auszuweiten, er verweigerte auch mal die Unterschrift unter ein Gesetz, wetterte in Reden gelegentlich, wenn er Unsitten anprangern wollte (etwa an den Finanzmärkten). Offenkundig frustriert gab er auf. Christian Wulff deutete solchen Ehrgeiz erst gar nicht an, er wollte vor allem Integrator sein.

Irgendwo in diesem von zehn Präsidenten gewobenen Koordinatennetz wird nun Gauck seine Rolle suchen und finden. Wie alle Präsidenten wird er die Grenzen des Amtes zu spüren bekommen – die alle seine Vorgänger früher oder später akzeptiert haben.

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