zum Hauptinhalt

Politik: Eigenwillige Provinzen, vielstimmige Zentrale

Wie die deutschen Vertreter in Brüssel versuchen, die Gesetzgebung der EU zu beeinflussen

Deutsche Diplomaten in Brüssel beklagen sich seit Jahren über angeblich schwerfällige und unflexible Abstimmungsmechanismen zwischen der Bundesregierung und der Länderbürokratie. Der Bundesregierung ist die Beteiligung der Länder in Brüssel lästig. Denn wenn dort über ein Thema beraten wird, das in Deutschland in die Länder-Zuständigkeit fällt, dann muss die Regierung ihren Sitz im EU-Ministerrat räumen und einem Vertreter der Länder überlassen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn über Bildungsfragen debattiert wird. Normalerweise kommt dann der Vorsitzende der Kultusministerkonferenz nach Brüssel. Seit es in Berlin aber auch eine für Kultur zuständige Staatsministerin gibt, knistert es auch hier zwischen Berlin und den Landesregierungen.

Auch wenn im EU-Ministerrat über innere Sicherheit und Asyl debattiert wird, sind die Länder betroffen. Sie sind es nämlich, die am Ende die EU-Beschlüsse in die Praxis umsetzen müssen. Der Bundesrat schickt deshalb einen Vertreter zu den Brüsseler Verhandlungen. Im Verhandlungssaal sitzt er dann an der Seite des Bundesinnenministers – stumm wie ein Fisch. Der Ländervertreter hat nämlich im Ministerrat kein Rederecht. Er kann nur zuhören und sich Notizen machen.

Für die Bundesländer, die den deutschen Föderalismus ernst nehmen, ist das kein befriedigender Zustand. Sie suchen sich deshalb außerhalb des engen Paragrafengeflechts von Grundgesetz und Bund-Länder-Vereinbarung ihren Weg. Die Brüsseler Landesvertretungen haben nicht nur die Aufgabe, in der EU-Zentrale wichtige Informationen zu sammeln. Selbstbewusste Länder wie Bayern oder Baden-Württemberg wollen auch über ein Netzwerk der Beziehungen schon im Vorfeld der Entscheidungen ihre Interessen einbringen und Einfluss ausüben. Und das nicht erst, wenn die Würfel längst gefallen sind, sondern schon in der Entstehungsphase der Brüsseler Gesetzesvorschläge – wenn die Experten in den Brüsseler Amtsstuben noch offen für Verbesserungsvorschläge sind. Denn wenn die EU-Kommission erst einmal ihren Gesetzesvorschlag vorgelegt hat, dann wird es für die einzelnen Mitgliedstaaten schwierig, entscheidende Änderungen durchzusetzen. Dazu müssen dann nämlich im EU-Ministerrat Mehrheiten gewonnen werden. In einer EU der 25 wird das aber immer schwieriger.

Völlig zu Recht verlassen sich die aktiven Bundesländer deshalb nicht auf die grundgesetzlich versprochene „Mitwirkung“ des Bundesrats, sondern setzen schon im Anfangsstadium der EU-Gesetzgebung den Hebel an: manchmal mit Erfolg und nicht immer zur Freude der Bundesregierung. Denn es kommt schon einmal vor, dass das Interesse eines Bundeslandes nicht mit dem der Bundesregierung übereinstimmt. In der höchst heiklen Debatte über die finanzielle Ausstattung der Strukturfonds haben sich so zum Beispiel die ostdeutschen Länder mit dem zuständigen EU-Kommissar verbündet – gegen die Sparforderung des Bundes.

Freilich ist auch die Bundesregierung viel zu oft nicht in der Lage, in Brüssel mit einer Stimme zu sprechen. Das Wirtschaftsministerium gegen das Agrarministerium, das Innenministerium gegen das Umweltministerium, von der Altautoentsorgung und der Übernahmerichtlinie über die Chemikalienverordnung bis zur Dienstleistungsrichtlinie – viel zu oft kann sich die Koalition aus Grünen und der Kanzler-SPD nicht rechtzeitig auf eine deutsche Position einigen. Dann steht in den Gremien mal wieder die deutsche Enthaltung an – „german vote“ heißt das in Brüssel.

Zur Startseite