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Politik: Ein Abgrund an Loyalitäts-Verrat (Leitartikel)

Nach der Beschleunigung, die die CDU-Affäre mit den Geständnissen des Wochenendes bekommen hat, ist es nicht mehr möglich, etwas für unmöglich zu halten. Doch das Ausmaß der Erschütterung über den Sumpf, der sich da aufgetan hat, reicht schon aus, um die große politische Alarmglocke zu läuten.

Nach der Beschleunigung, die die CDU-Affäre mit den Geständnissen des Wochenendes bekommen hat, ist es nicht mehr möglich, etwas für unmöglich zu halten. Doch das Ausmaß der Erschütterung über den Sumpf, der sich da aufgetan hat, reicht schon aus, um die große politische Alarmglocke zu läuten. Zumindest nach dem Abgrund an Loyalitäts-Verrat, der sich in Hessen aufgetan hat, kommt man nicht mehr an der Erkenntnis vorbei, dass allenfalls die Spiegel-Affäre, jenes große wetterscheidenhafte Skandal-Stück zu Beginn der sechziger Jahre, mit dem sich die Adenauer-Ära verabschiedete, vergleichbar tief ging; selbst die Flick-Affäre wirkt mittlerweile nur noch als Vorspiel zum gegenwärtigen Ernstfall. Denn berührt wird ein Lebensfaden der politischen Ordnung - die Glaubwürdigkeit. Politik- und Parteienverdrossenheit, die oft nur eine modische Attitüde waren, können sich gerechtfertigt fühlen. Sie werden, da kann man sicher sein, einen Auftrieb nehmen, der mit der Gewalt der Katastrophen-Stürme der letzten Wochen am Verhältnis der Gesellschaft zu den Parteien und zur Politik rüttelt.

Die Schadenfreude, mit der die anderen Parteien das CDU-Drama zunächst beobachtet haben, hat deshalb längst einer bangen Beklommenheit Platz gemacht hat. Denn die Politik hat für die Bundesrepublik immer eine besondere Bedeutung gehabt. Lässt man einmal den Beitrag beiseite, den das wirtschaftliche Erstarken für ihr Gedeihen gehabt hat, so ist diese Republik ja das Ergebnis des Versuches, sich gleichsam am Schopf der Politik aus einer Lage zu ziehen, die mit ihren politischen Havarien, Traditionsbrüchen und dem Absinken ganzer historisch-emotionaler Bezugsfelder niemandem mehr viel Halt geben konnte. Politik musste hierzulande vieles ersetzen, was anderswo das Gemeinwesen mitträgt - erprobte Gewohnheiten, bewährte Überlieferungen, Vertrauen in die Nation, religiöse Bindung. Auch die Parteien stellten nicht nur Kandidaten zur Wahl, sondern boten eine gewisse Orientierung - wie sehr ihnen diese Rolle in den vergangenen Jahrzehnten auch schon abhanden gekommen war. Was wird davon übrig bleiben, wenn dieser Sturm einmal vorbei sein wird?

Gewiss braucht man nicht daran zweifeln, dass der Mechanismus unseres politischen Systems für die Ahndung der Verstöße gegen Gesetz und Anstand sorgen wird. Die Bußgelder, die die Verletzung der Parteispenden-Regelung nach sich zieht wird, werden die Kampagne-Fähigkeit der CDU empfindlich herabdrücken. Rücktritte und Renomee-Verluste werden die CDU-Führung einem schmerzlichen Prozess des Umbaus unterwerfen. Nicht zuletzt werden die Bürger sie mit Wahlergebnissen bestrafen, die die Partei im Kampf um die Macht vermutlich für absehbare Zeit zurückwerfen werden. Auch wenn man italienische Zustände für unwahrscheinlich hält, spricht vieles dafür, dass der Platz der CDU in der Parteienlandschaft für lange Zeit nicht mehr der sein wird, der er über die Jahrzehnte hinweg war.

Aber kann man über diese Aussichten wirklich Genugtuung empfinden? Nicht nur braucht das parlamentarische System eine kräftige Opposition. Das politischen Gefüge der Bundesrepublik hat auch davon gelebt, dass Elemente der Bewegung und der Beharrung miteinander rangen. Es gab Zeiten, in denen der Anstoß für Innovationen seinen Ort in der Union fand, während es der SPD dazu an Kraft mangelte. In anderen Phasen war es die SPD, die sich neuen Entwicklungen öffnete, während die Union den status quo bewahrte. Eine Marginalisierung der CDU, gar eine Selbstzerfleischung, würde mithin das gesamte politische Gefüge schwächen. Auch deshalb muss man hoffen, dass die CDU den Absturz, der sie bedroht, mit der Anstrengung radikaler Aufklärung und der Besinnung auf ihre Stärken aufhält.

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