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Politik: „Ein Akt der Versöhnung“

Das ukrainische Parlament feiert den erreichten Kompromiss – aber die Opposition ist gespalten

Warschau/Kiew - Jubelnd fielen sich im ukrainischen Parlament die meisten der mit orangefarbenen Schals bekleideten Parlamentarier der Opposition in die Arme: Auf die Unterschrift unter das Dokument des historischen Kompromisses folgte einträchtiger Beifall der Erleichterung. Ausgerechnet der umstrittene Skandalpräsident Leonid Kutschma hatte mit seinem Namenszug den Durchbruch in der seit über zwei Wochen schwelenden Staatskrise besiegelt.

18 lange Tage hatten hunderttausende Anhänger von Oppositionschef Viktor Juschtschenko gegen die verfälschte Präsidentschaftswahl vom 21. November protestiert. Millimeter für Millimeter hatte die Opposition dem unwilligen Amtsinhaber Kutschma, der Regierung und der Wahlkommission unter dem Druck der Straße immer wieder neue Zugeständnisse abgerungen. Doch erst durch eigenes Entgegenkommen vermochte die Opposition am Mittwoch schließlich das tagelange Hickhack um eine Wahlrechts- und Verfassungsänderung zu beenden. Mit 402 von 450 Stimmen verabschiedete das Parlament den hart umstrittenen Gesetzes-Kompromiss – und machte damit endgültig den Weg für eine Wiederholung der Stichwahl am 26. Dezember frei.

Vor allem gegen die Verfassungsreform, die die Beschneidung der Rechte des Präsidenten und eine Aufwertung des Parlaments vorsieht, hatte sich der Großteil der Opposition lange gesträubt. Sie argwöhnte, dass Juschtschenko schon vor seinem Amtsantritt so entmachtet werden sollte, dass ihm einschneidende Änderungen kaum mehr möglich sein würden.

Mit seinen tagelangen Obstruktionsmanövern hatte Kutschma den Verdacht genährt, dass es ihm bei der Verfassungsreform vor allem um die Schwächung seines Nachfolgers und die Absicherung seiner Pfründen gehe. So hatte er noch am Vortag die Opposition mit der Ankündigung brüskiert, 14 der15 Mitglieder der entlassenen Wahlkommission erneut berufen zu wollen. Schließlich blieb es bei elf. Doch zumindest der der Annahme von Bestechungsgeldern verdächtige Ex-Vorsitzende Sergej Kiwalow fiel bei der angestrebten Wiederwahl durch.

Die mit Juschtschenko paktierenden Sozialisten forderten schon länger eine Stärkung des Parlaments gegenüber dem Präsidenten. Letztendlich waren sie es, die Juschtschenkos Oppositionsbündnis Unsere Ukraine zum Einlenken bewegten. Juschtschenko habe gezeigt, dass es ihm nicht nur um Vollmachten, sondern um einen geeinten demokratischen Staat gehe, kommentierte der Abgeordnete Nikolai Timenko den Kompromiss. Parlamentspräsident Wolodimir Litwin feierte das Votum gar als einen „Akt der Versöhnung“: Es zeige, dass die Ukraine vereint und unteilbar sei.

Lediglich die radikaloppositionelle Fraktion der früheren Energieministerin Julia Timoschenko verweigerte dem Kompromiss im Parlament die Zustimmung – und kündigte zugleich eine Verfassungsklage an. Die Verfassungsänderung sei „nicht legitim und Kutschmas Werk“ und sei nur ihm selbst und seinem Clan von Nutzen, sagte Timoschenko in der Parlamentsdebatte. Ihren Bündnispartnern innerhalb der Opposition warf Timoschenko, die selbst Ambitionen auf das Amt des Premiers geäußert hat, „Verrat an den Interessen der Demonstranten auf der Straße“ vor: „Juschtschenko wird es nach seiner Wahl zum Präsidenten nun sehr schwer fallen, Ordnung im Land zu schaffen.“

Thomas Roser

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