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Alexander Wacker aus Charlottenburg im Kibbutz Ein Hashlosha.

© Privat

Ein Berliner im Kibbutz: Gärtnern am Grenzzaun

Der Charlottenburger Alexander Wacker hat ein halbes Jahr in einem Kibbutz in Israel gearbeitet - nur zweieinhalb Kilometer vom Gazastreifen entfernt. Hier berichtet er von seinen Erfahrungen mit Schmugglertunneln, Granatenangriffen und Kartoffelanbau.

Als ich um zwei Uhr nachts in meinem Hostel in Tel Aviv ankam, hatte ich keine Ahnung, was in den nächsten Wochen und Monaten auf mich zukommen würde. Ich war nach Israel gekommen, um in der Zeit zwischen Abitur und Studium ein wenig die Welt zu erkunden. Und Israel bot sich als Ziel an. Ich bin zwar in Jerusalem geboren und habe die ersten fünf Jahre meiner Kindheit dort verbracht, hatte aber nie die Gelegenheit, das Land genauer kennenzulernen.

Im Rahmen eines Programms entschloss ich mich, die Zeit in einem Kibbutz zu verbringen. Ein Hashlosha ist sein Name. Er liegt im nördlichen Negev und befindet sich gerade mal zweieinhalb Kilometer von der Grenze zum Gazastreifen entfernt. Dennoch habe ich keinerlei Angst verspürt. Im Gegenteil, ich war vor allem neugierig.

In Ein Hashlosha gab es bei meiner Ankunft mehr als ein Dutzend Volontäre. Das Durchschnittsalter der Freiwilligen lag bei Anfang 20. Nach meiner Ankunft bekam ich als Erstes die Regeln erklärt: Im Falle eines Raketenalarms (man nennt ihn dort „tzeva adom“, was übersetzt „Farbe Rot“ bedeutet) hat man ziemlich genau 15 Sekunden Zeit, um den nächstgelegenen Bunker zu erreichen. Im Wohnhaus selbst gibt es zwei davon, und viele andere sind über das Gelände des Kibbutz verteilt. Der Kindergarten wird zudem mit einer zwei Meter dicken Betonwand geschützt. Mir wurde auch erzählt, dass es vergleichsweise ruhig sei; 2008 zum Beispiel war das anders. Damals wurde während der Kämpfe zwischen Israel und der im Gazastreifen herrschenden Hamas der ecuadorianische Volontär Carlos Chavez während der Feldarbeit von Scharfschützen erschossen.

In der Nähe des Kibbutz wurde ein Schmugglertunnel entdeckt

In den ersten Wochen habe ich viel über den Kibbutz gelernt: Er wurde in den 50er Jahren von Einwanderern aus Argentinien und Uruguay gegründet, deren Vorfahren aus Europa emigriert waren. Der Name geht auf drei gefallene Soldaten zurück, die zu den Gründern des Kibbutz’ gehörten und im Unabhängigkeitskrieg 1948 ums Leben kamen. Von sieben Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags wurde gearbeitet. Ich ging mit großer Begeisterung auf die Felder, baute Kartoffeln, Karotten, Zwiebeln und Radieschen an.

Mitte Oktober gab es dann erstmals eine brenzlige Situation. Eine israelische Patrouille hatte zwei Kilometer vom Kibbutz entfernt einen Tunnel gefunden, der dafür gedacht war, Mitglieder der Hamas unerkannt nach Israel zu schmuggeln. Rund eine Woche später informierten uns Soldaten, dass die Armee in zwei Stunden den Tunnel in die Luft jagen würde. Wir sollten uns keine Sorgen machen. Abends gab es dann einen ersten lauten Knall, ein paar Minuten später einen zweiten. Wir lagen schon im Bett, als kurz darauf plötzlich Hubschrauber und Artilleriefeuer zu hören waren. Keiner wusste, was vor sich ging. Vorsichtshalber suchten wir Schutz in den Bunkern. Es stellte sich später heraus, dass es Kämpfe zwischen der Hamas und der israelischen Armee gab. Fünf Islamisten wurden getötet, ein israelischer Soldat schwer verwundet.

Vier Granaten explodieren - Alexander rennt sofort in den Bunker

Auch wenn wir später oft in unmittelbarer Nähe des Grenzzauns waren, war mir nie mehr so mulmig zumute wie in den Anfangswochen. Und die Soldaten sagten immer, hier im Kibbutz sei man sicherer als auf Tel Avivs Straßen. Aber gegen Ende meiner Zeit im Kibbutz gab es dann doch noch eine gefährliche Situation. Ich machte gerade nach der Arbeit ein kleines Nickerchen, als einer der Volontäre hereinkam und mir zurief: Sofort in den Bunker! Wir würden mit Mörsergranaten angegriffen. Und dann hörte auch ich es: Vier laute Explosionen kurz hintereinander. Ich rannte sofort in den Bunker. Dort saßen wir die nächste Stunde, keiner wusste, was gerade los war. Wir hörten nur die Detonationen.

Später erfuhren wir, dass 30 Granaten und Raketen auf uns abgefeuert worden waren - die Rache des Islamischen Dschihad dafür, dass am Tag zuvor Israels Luftwaffe drei Islamisten getötet hatte. Am Abend haben wir dann miterlebt, wie die Luftwaffe Stellungen im Gazastreifen angriff. Wir haben die Explosionen mit eigenen Augen gesehen und beobachtet, wie die Helikopter ihre Raketen abfeuerten.

Das mag jetzt recht dramatisch klingen. Aber der überwiegende Teil meiner Zeit im Kibbutz ist mit tollen Erinnerungen verbunden, etwa an die Arbeit auf dem Feld und die vielen neuen Freunde. Ich vermisse den Kibbutz sehr. Gleichzeitig merke ich, dass die Eindrücke und Erlebnisse noch verarbeitet werden müssen. Ich rate jedem Abiturienten, ein Jahr Pause vor dem Studium zu machen. Am Besten im Ausland. Zum Beispiel in Israel.

Alexander Wacker ist 19 Jahre alt, lebt in Wilmersdorf und war vom 18. September 2013 bis zum 17. März 2014 als Volontär im Kibbutz Ein Hashlosha.

Alexander Wacker

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