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Politik: Ein Beschluss, kein Schluss

DER FALL KRENZ

Von Matthias Schlegel

Im Tagesablauf von Egon Krenz wird sich künftig vermutlich nur ein – allerdings wesentliches – Detail ändern: Seine Nächte wird er im eigenen Bett verbringen. Ansonsten hatte der Freigänger der Justizvollzugsanstalt Plötzensee einen Lebensrhythmus, der sich kaum von dem eines beliebigen Berliner Bürgers unterschied. Er ging seinem Beraterjob nach, traf sich mit Bekannten und Freunden, baute sein Ferienhaus an der Ostsee aus.

Seit dem gestrigen Donnerstag ist der frühere DDR-Staats- und SED-Chef wieder ein freier Mann. Das ist zweifellos ein Aufsehen erregender Vorgang. Für manche mag es gar eine ungeheuerliche Tatsache sein – der Mann, dem als Mitglied des inneren Machtzirkels der führenden Partei exemplarisch vier Tötungen an der deutsch-deutschen Grenze zur Last gelegt wurden, musste nur reichlich die Hälfte seiner sechsjährigen Haftstrafe verbüßen. Andere werden die Achseln zucken und sagen: Es wird Zeit, dass die alten Geschichten endlich ruhen.

Jenseits alles Symbolhaften liegt das eigentlich Bemerkenswerte dieses Vorgangs in seiner Normalität. Hier wurde von einem Gericht eine souveräne rechtsstaatliche Entscheidung getroffen, die sich um politische Ausdeutungen nicht schert. Der Fall des Gefangenen Krenz taugt in seiner juristischen Handhabung nicht für verbale Tiraden gegen eine vermeintlich politische Justiz, weder von der einen noch von der anderen Seite. Der Fall Krenz – so singulär er in seinem politischen Zusammenhang auch erscheinen mag – ist in seiner juristischen Abwicklung ein Fall wie jeder andere.

In seiner Person ist Krenz sein eigenes Gegenargument. Dass er nun vorzeitig freikommt, entkräftet endgültig seine unermüdlichen Einlassungen, er sei ein Opfer von „Siegerjustiz“. Dass dennoch Unbehagen zurückbleibt, wenn man das vergangene Jahrzehnt mit seinen Prozessen gegen die großen und kleinen Täter des untergegangenen Staates reflektiert, hat nichts mit der Judikative zu tun. Es gründet sich vielmehr auf die Erkenntnis, dass dieses zeitgeschichtliche Phänomen DDR mit den Mitteln einer rechtsstaatlichen Justiz nur unzureichend aufgearbeitet werden kann – zumindest nicht in einer Weise, die dem Gerechtigkeitsverständnis der Opfer und der Benachteiligten angemessen wäre.

Aus ihrer Sicht mag es in viel zu wenigen der Ermittlungsverfahren tatsächlich zu Anklagen gekommen sein. Nach ihrem Verständnis mögen die Urteile in aller Regel zu milde gewesen sein. Doch eines darf man nicht übersehen: Was viele Leidtragende des DDR-Systems geltend gemacht haben und noch immer geltend machen, darf nicht vermischt und verwechselt werden mit dem, was allein die Justiz zu leisten in der Lage ist. Misswirtschaft, Denunziation, Nachstellungen gegenüber Andersdenkenden, Repression gegen Unangepasste – solche alltäglichen Gemeinheiten sollen nicht vergessen werden. Aber sie verlangen nach anderen Formen der Erinnerung und Aufarbeitung.

Weil das so ist, wäre es fatal, wenn die Freilassung von Krenz nun diese unsägliche Schlussstrich-Diskussion wieder beleben würde. Natürlich ist mit der Entlassung des früheren Staatschefs das umfangreiche Kapitel der Vergangenheitsaufarbeitung mit den Mitteln der Justiz so gut wie zugeschlagen worden. Die meisten Tatbestände, die – immer auf der Grundlage des in der DDR geltenden Rechts – geahndet werden könnten, sind mittlerweile verjährt. Was jetzt noch justiziabel ist, müsste die Dimension von Kapitalverbrechen haben, die nicht verjähren. Vielleicht werden sich die Gerichte noch einmal mit der Rolle von DDR-Auftragskillern auseinander zu setzen haben, wenn man derer habhaft wird. Der erste Zugriff auf einen Verdächtigen erwies sich jedoch offenbar als Fehlgriff.

Aber es wäre ganz und gar unangemessen, das Ende des Falles Krenz nun etwa auch auf den Umgang mit den Stasi-Akten übertragen zu wollen. Die Freilassung von Egon Krenz taugt nicht als Anlass zu der Symbolik: Akten zu, jetzt ist Versöhnung angesagt. An der weisen Einsicht, dass Verdrängung der ärgste Feind der Versöhnung ist, hat sich auch dreizehn Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR nichts geändert.

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