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Politik: Ein bisschen Schicksal

DIE LANDTAGSWAHLEN

Von Robert Birnbaum

Mit großen Worten soll man geizen, aber vielleicht ist eines diesmal angebracht: Der Wahlsonntag, ein Schicksalstag. Nicht, dass gleich Wohl oder Wehe der Republik in die Hände der Wähler in Hessen und Niedersachsen gelegt wären. Aber der absehbare Ausgang der beiden Landtagswahlen schafft eine Konstellation, die die Politik in den nächsten zwei, drei Jahren bestimmen wird – vom Schicksal einiger ihrer Spitzenvertreter zu schweigen.

Womit fangen wir an? Beginnen wir oben, also beim Kanzler. Gerhard Schröder hat die Bundestagswahl im Alleingang gewonnen, weil er das wohlige, nur leider realitätsferne Gefühl vermittelte, es werde mit ihm nicht alles besser, aber wenigstens nichts schlechter. Die Rechnung dafür ist jetzt fällig. Psychologisch ist der Preis hoch: Im schlimmsten Fall zwei absolute CDUMehrheiten, Hoffnungsträger Gabriel vorerst dahin, das eigene Stammland ebenso, die Mehrheit in der Bundesversammlung, die den nächsten Bundespräsidenten wählt, gleich mit. Auf den SPD-Chef Schröder kommen üble Tage zu. Die Parteilinken winken mit Lafontaine, die Gewerkschaften mit Kündigung.

Für den Kanzler Schröder liegt darin eine doppelte Chance. Erstens droht kein Sturz, weil die Unzufriedenen im eigenen Lager mit der einzigen ernst zu nehmenden Alternative Wolfgang Clement noch unzufriedener wären. Zweitens wird ihm nichts anderes übrig bleiben, als ein zweites Mal „Ich habe verstanden“ zu sagen und sich als Reformkanzler zu präsentieren. Gelingt es ihm dabei nicht, die Traditionsbataillone der SPD nach erstem Murren mitzunehmen, das Projekt also als sozialdemokratisches zu verkaufen, ist diese Wende sein Ende. Andernfalls ist er vorerst gerettet.

Dabei hilft dann notgedrungen die Union. Für CDU und CSU ist ein Doppelsieg ein gespaltener Erfolg. Intern trägt er nicht zur Klärung der Macht- und Programmfragen bei, eröffnet aber das Kandidatenrennen. Angela Merkel ist als Partei- und Fraktionschefin in der formal besseren Ausgangslage, die ihr aber wenig nützt, weil Entscheidungen nicht im Bundestag fallen. Roland Koch wird versuchen, sich als der eigentliche Oppositionsführer mit staatsmännischer Konsensbereitschaft im Bundesrat zu profilieren. Ob die Konkurrenz produktiv wirkt oder die Union lähmt – schwer zu sagen. Zumal ein Sieg des „Liberalen“ Christian Wulff in Niedersachsen die Front noch unübersichtlicher macht.

Geht Schröder auf den Reformweg und die SPD mit ihm, steht die Union vor einer Gratwanderung. Sie kann sich nicht verweigern, aber auch nicht verhindern, dass Erfolge der informellen großen Koalition der Regierung eher zugerechnet werden. Was Schröder seine Linke, ist der Union ihre Rechte: Die Gefahr besteht, dass die Ersatzkonflikte in der Gesellschaftspolitik sucht. Aber die Union hat die Bundestagswahl auch deshalb verloren, weil sie im Kulturkampf zu sehr nach Lederhose roch.

Ja, und die Kleinen: Die gehen einem ungewissen Schicksal entgegen. Guido Westerwelle ist als FDP-Vorsitzender immer noch ohne echte Alternative, doch was heißt das schon? Verlieren die Liberalen, ist Westerwelle von da an Chef auf Abruf. Kommen sie durch, steht ihm trotzdem ein harter Neuaufbau der Partei und seiner selbst bevor.

Bleiben die Grünen. Auf den ersten Blick werden sie stärker, an Stimmen wie an programmatischem Einfluss. Aber hinter einem Zweckbündnis der Großen droht ihnen die Unsichtbarkeit: Die Reformen der Sozial- und Finanzsysteme, die die Ökologie als grünes Markenzeichen abgelöst haben, machen dann andere. Fünftes Rad am Großen Wagen – auf Dauer auch kein schönes Schicksal.

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