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Politik: Ein bisschen Wahl muss sein

Von Lorenz Maroldt

Noch drei Wochen bis zur Wahl in Berlin – nur noch drei Wochen für Friedbert Pflüger, immer noch drei Wochen für alle anderen. Dem Neuberliner Herausforderer des Regierenden Bürgermeisters rennt die Zeit davon, er hat ja noch nicht einmal einen Spitznamen. Eberhard Diepgen joggte seinerzeit als Alter Ego eines Turnschuhs namens „Ebi“ herum, Klaus Wowereit gibt sich den tierlieben Berlinern als Kuschelbär „Wowi“ hin. So viel Spaß muss sein, allen Ernstes. Und Pflüger? Der sucht weiter nach dem rechten Ton für richtige Gedanken, also nach einem verbindenden Gefühl. Nur noch drei Wochen. Bei dem Abstand, den die Meinungsumfragen zeigen, bei der Ablehnung, die ihm aus anderen Parteien entgegenschlägt, bedeutet das für Pflüger: Ihm kann nur noch Wowereit helfen – mit groben Fehlern.

Der Wahlkampf des Titelverteidigers ist dennoch offensiv, was sein Überlegenheitsgefühl ebenso zeigt wie die Lust am Spielen. Denn mit jedem heißen Versprechen, mit jeder halbgaren Idee fällt auch ein neues Lindenblatt auf ihn herab. So sind die tatsächlichen Kosten der Beitragsfreiheit für Kindertagesstätten deutlich höher als bisher benannt, aber wie wird das bezahlt? So gilt Wowereits Nein zur Einheitsschule nur konditioniert: Nicht mit ihm, aber wie lange bleibt er? Nicht in der nächsten Legislaturperiode, aber gilt das auch für die Vorbereitung eines neuen Schulsystems? So kommt seine Ankündigung, mehr in der großen Politik mitzumischen, als schrilles Echo zurück in die Stadt: Dafür hat er jetzt Zeit, weil die Aufräumarbeit angeblich getan ist? So greift er nach Grass als Wahlkampfhelfer – weil aus der Kunst des Vergessens die Gunst moralischer Überheblichkeit wird? Damit allerdings kennt dieser Senat sich auch allein ganz gut aus. Für wie wichtig der Regierende Bürgermeister aber ein starkes Bürgertum hält, darüber erfährt man nichts.

Dass Pflüger aus alledem für sich bisher nicht mehr machen konnte, liegt auch an eigenen Fehlern. Jeder für sich marginal, aber falsch beraten bei Vicky Leandros, falsch informiert bei Familie Aydin, falsche Freunde im Moscheestreit von Pankow, falsches Timing bei der hannoverschen Heimatliebe, das macht unterm Strich keinen glänzenden Eindruck. Dazu kommt ein emotionales Übersetzungsproblem. Das Bild von Berlin als Titanic trifft ebenso wenig wie das einer dunklen Sin City. Und der Unterrichtsausfall ist ja tatsächlich ein ernstes Problem. Aber wer auf Plakaten ein trauriges Kind zeigt und dazu den Satz schreibt „3. und 4. Stunde fallen aus“, trägt vor allem zur Heiterkeit bei.

Noch drei Wochen. Kleine und etwas größere Zuckungen kündigen das Finale an. Wowereit hat auch eine Promi-Absage kassiert. Thomas Gottschalk sollte zwar nicht Unterhaltungssenator werden, sondern nur für den Regierenden werben, Seit’ an Seit’ mit dem Dichter, aber das ZDF hat’s verboten. Der Unternehmer und Ausschreibungsverlierer Hans Wall bietet sich als Opfer der Senatspolitik an und droht ausgerechnet mit dem Umzug nach Hamburg; doch die Opposition hat auch nichts dagegen, das meiste Geld einzunehmen. Der Bund findet Gefallen an Tempelhof, ein Lieblingsthema von Pflüger. Und Wowereit meint noch immer, er schaffte es in zehn Minuten hinaus nach Schönefeld.

Aber wo wollen sie hin? Beim Blick aufs Große zerfällt den Kandidaten das Bild Berlins in kleine Karos, wie im Kaleidoskop. Ein Unterschied: Wowereit sieht die Splitter bunt, bei Pflüger liegt ein Grauschleier über der Stadt.

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