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Politik: Ein Fund macht noch keinen Krieg

SADDAMS SPRENGKÖPFE

Von Christoph von Marschall

Nun ist sie da, die Situation, auf die der Streit um einen möglichen IrakKrieg seit Wochen zusteuerte. Der Wendepunkt, von dem sich die Falken das ultimative Argument für George W. Bushs Kurs erhofften und den die Kriegsgegner fürchteten: Die UN-Inspekteure haben verbotene Waffen im Irak gefunden, die Bagdad verschwiegen hatte – und das schön symbolisch zum Jahrestag des ersten Golfkriegs. Ein klarer Fall von „material breach": Bruch der UN-Resolution. Das reiche zur Rechtfertigung eines Kriegs, hatte Amerika von Anfang an angekündigt. Doch Bush drängt nicht auf einen Militärschlag. Genau wie Mitte Dezember, als im Sicherheitsrat schon einmal unwidersprochen das Wort „material breach“ fiel, nachdem Chefkontrolleur Blix den Rüstungsbericht des Irak als lückenhaft und voller Lügen bezeichnet hatte. Bush handelt nicht wie der Abenteurer, den viele in ihm sehen. Warum bleibt er so cool?

Erstens wirkt der Fund nicht sehr bedrohlich: keine abschussbereiten, scharfen Raketen, sondern elf leere Sprengköpfe für C-Waffen aus den neunziger Jahren, von deren (früherer) Existenz die Inspekteure wussten. Als Anlass für einen Militärschlag wäre das nicht sehr überzeugend. Solche Sprengköpfe hebt man andererseits nicht als Souvenir auf. Wenn Saddam sie heimlich hortet, dann doch wohl, um sie gegebenenfalls zu füllen und einzusetzen. Womit sich die Frage aufdrängt: Wo hat er die Kampfstoffe versteckt?

Was, zweitens, zur Dialektik der neuen Lage führt. Je mehr verbotene und gefährliche Rüstungsgüter die Inspekteure finden, desto besser wäre ein Krieg gegen Saddam begründet. Doch gleichzeitig wäre er umso weniger nötig. Waffen, die man findet, kann man friedlich abrüsten. Jeder Fund mindert die Gefahr, die von Saddams mutmaßlichem Rüstungspotenzial ausgeht. Militärschläge oder gar eine Besetzung des Irak bekämen erst dann ihren traurigen Sinn, wenn die Inspekteure ernste Hinweise auf Massenvernichtungswaffen hätten, diese aber nicht aufspüren können. Weshalb man den Zugang zur verborgenen Bedrohung erzwingen müsste. Nur fehlte dann im Moment der Entscheidung zur Gewalt der sichtbare Beweis, der sie rechtfertigen soll.

So paradox war die Logik dieses Konflikts schon zuvor. Bush wirkt auf viele wie ein Kriegstreiber, wegen seiner Rhetorik, und weil er eine Streitmacht am Golf aufmarschieren lässt. Doch auch die Kriegsgegner müssen sich eingestehen, dass erst diese Drohkulisse die Rüstungskontrollen wieder ermöglicht hat. Joschka Fischer glaubt wohl nicht im Ernst, dass Entspannungspolitik das auch erreicht hätte. Die Zuspitzung hat freilich eine gespenstische Eigendynamik: Man darf bezweifeln, ob Bush seine teuren Divisionen am Ende einfach abzieht, falls Saddam an der Macht bleibt. Wird Bush am Ende den Angriffsbefehl geben, mit allen Risiken für die Stabilität der arabischen Welt? Oder wird es ihm gelingen, den Irak ohne Krieg abzurüsten?

Das hängt auch davon ab, was Europa aus der neuen Lage macht. Und nicht zuletzt die Bundesregierung. Geht Rot-Grün ehrlich mit der Dialektik der Waffenfunde um? Ja, wenn sie zugibt, dass Saddam ein kleines Stück weiter überführt ist. Sie behält ja weiter Recht: Damit ist noch kein Grund für einen Krieg gegeben, sondern für verschärfte Inspektionen über den 27. Januar hinaus. Sie kann, wie Fischer es getan hat, ruhig anerkennen, dass Bush sorgfältig abwägt. Und dabei bleiben, dass ein Militärschlag nur dann gerechtfertigt ist, wenn er durch den Sicherheitsrat in einer neuen Resolution autorisiert wird. Dieser erste Waffenfund ist noch keine Wende zum Krieg.

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