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Politik: Ein ganz eigener Geist Störrische Sachsen,

ungehorsame Studenten, bedächtige Funktionäre – an der Elbe hatte die DDR etwas Flair von Welt.

Die Deutsche Demokratische Republik, die weder demokratisch noch eine Republik und auch sonst nicht gerade die bessere Hälfte von Deutschland war, ging im Herbst 1989 auf ihren 40. Geburtstag zu. Das politische System wirkte angesichts der Reformen von Michail Gorbatschow in der plötzlich gar nicht mehr vorbildlichen Sowjetunion, angesichts der Fluchtwelle Zehntausender Menschen in den Westen, täglichen Versorgungsmängeln sowie der alltäglichen Freiheitsknappheit so tatterig wie der schwerkranke Staats- und Parteichef Erich Honecker. „Totgesagte leben länger“, rief der sich noch selbst und seinen letzten Getreuen zu, während auf den Straßen der Protest der Partyverderber von Tag zu Tag mutigere Bahnen zog. In diesen „Zeiten des abnehmenden Lichts“, die Eugen Ruge in seinem gleichnamigen ostdeutschen Familienroman so nahbar nacherlebbar beschrieben hat, verdichtete sich insbesondere in Sachsen die vorrevolutionäre Stimmung. In Leipzig erschallte mit jedem Montag der Ruf nach Freiheit lauter, in Dresden heizte sich die Stimmung gefährlich auf und eskalierte mit gewaltiger und gewaltsamer Randale am Hauptbahnhof.

Die Sachsen muckten auf, auch weil sie sich trotz aller sozialistischen Verwaltungsreformen (die aus Chemnitz etwa Karl-Marx-Stadt machten) weiterhin als Sachsen verstanden. Mit einem sich nicht immer selbst erklärendem Dialekt, mit einem sich immer selbst verklärendem Humor („Sing mei Sachse sing“) schauten Leipziger, Dresdner, Erzgebirgler und Chemnitzer – die sich nicht Karl-Marx-Städter nannten – etwas verächtlich auf das ferne Ost-Berlin, in dem viele Vorschriften gemacht und die wenigen Südfrüchte verspeist wurden.

Dresden bestand nicht nur aus den belesenen und innerlich zerfressenen Salonsozialisten, denen Uwe Tellkamp in seinem Roman „Der Turm“ ein turmhohes Denkmal gesetzt hat. Hier waren allein 30 000 Studenten ein Hort der Unruhe und des Ungehorsams. Und immer mehr DDR-Bürger, die ihre Staatsbürgerschaft außer Dienst stellen wollten, machten am Ufer der Elbe eine Station auf dem Weg in Richtung Westen, denn dieser Weg führte vor allem über die angrenzende Tschechoslowakei und Ungarn. Zum Republikgeburtstag stopfte die Führung der Staatspartei SED aber auch diese letzten Fluchtlöcher. Nun waren Ausreisewillige und Reformwillige („Wir bleiben hier“) der Staatsmacht gleichermaßen ausgeliefert; einer Staatsmacht, für die Stasi-Chef Erich Mielke die Kampfparole ausgab: „Jetzt ist Schluss mit dem Humanismus.“

Dresden, einst von den Bomben des Zweiten Weltkriegs am stärksten getroffen und deshalb in der Innenstadt bis heute mit realsozialistischer Architektur bepflastert, war auch Kulturmetropole mit historischem Antlitz. Der wiederaufgebaute Zwinger und die Semperoper gaben der DDR-Bezirksstadt etwas Erhabenes, Weltläufiges. Das wegen der üppigen Ufer sogenannte Elbflorenz zog manchen Weltenbürger aus dem Westen an, zumindest wochenendweise.

SED-Chef des Bezirks Dresden war in Zeiten der zunehmenden Wende der bedächtige Hans Modrow, den manche Fernbeobachter aus der Bundesrepublik schon als „Gorbatschow der DDR“ priesen – voreilig, wie sich später herausstellen sollte, als Modrow als Erbe der Erben von Honecker weder die Stasi noch die SED abwickeln wollte. Als Reformsozialist schon stärker in Erscheinung getreten war dagegen Dresdens Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer, etwa mit einer von ihm initiierten Städtepartnerschaft mit Hamburg.

Für den Moment des Wandels, den im Herbst 1989 jeder halbwegs fühlende Mensch fühlen konnte, von dem aber kein noch so rational denkender Mensch sagen konnte, ob er nicht doch in einem fürchterlichen Blutbad enden würde, für diesen Moment fand Dresden einen besonderen Geist des Friedens. Davon erzählt unser Zeitzeugengespräch, das auf der diesjährigen Konferenz der Archivpädagogen geführt worden ist. In Dresden natürlich. ide

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