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Politik: Ein Gebet – und eine Drohung

Chamenei preist den „absoluten Sieg“ von Ahmadinedschad und warnt die Opposition

Die kleinen Zettel mit Notizen, die er in seiner linken Hand hielt, hatte er bald vergessen. Was der Oberste Religionsführer Ali Chamenei seiner Nation und der übrigen Welt beim Freitagsgebet in Teheran zu sagen hatte, dazu brauchte er kein Manuskript. Er sprach ohne abzulesen und ohne viel Federlesens. 90 Minuten dauerte die politische Gardinenpredigt des mächtigsten Mannes im Iran – live übertragen im eigenen Staatsfernsehen. Sie begann zwar mit weitschweifigen theologischen Reflexionen, mündete aber bald in einer beinharten Ansage an das seit Tagen auf den Straßen protestierende Volk und das Lager der Reformpolitiker. Eine Neuwahl werde es nicht geben, die Abstimmung am 12. Juni sei ein „absoluter Sieg“ für Mahmud Ahmadinedschad gewesen, verkündete der Geistliche mit schwarzem Turban, der ihn als direkten Nachfahren des Propheten Mohammed ausweist. Wenn die anderen Kandidaten Beweise für Manipulationen hätten, sollten sie sie vorbringen. Doch Chamenei ließ keinen Zweifel, dass alle 646 Einsprüche am Endresultat nicht mehr viel ändern werden. Ahmadinedschad habe elf Millionen Stimmen mehr. „Wie kann man elf Millionen Stimmen fälschen?“, fragte er. Man könne vielleicht über Zählfehler oder Betrug bei einigen hunderttausend Stimmen reden, aber nicht über Millionen.

Für den Mann an der Spitze des Irans ist das Thema Wahlergebnis damit abgeschlossen. Und auch das Thema Demonstrationen. „Das Ergebnis kommt von den Urnen, nicht von der Straße”, rief er aus, um dann überzugehen in eine ungeschminkte Warnung: „Ich sage allen hier, diese Dinge müssen aufhören.“ Diese Demonstrationen würden organisiert, um Druck auf die Führung auszuüben. „Aber wir werden diesem Druck nicht nachgeben“, erklärte er.

Die Geduld des Regimes mit den Millionen-Märschen der Mussawi-Anhänger durch Teheran ist vorbei. Wenn die Menschen weiter auf die Straße gehen, so die indirekte Botschaft dieser Sätze, dann rollen die Brigaden des Obersten Religionsführers – die Basij-Milizen und die Revolutionären Garden. Drei Millionen Menschen waren nach Angaben des Teheraner Bürgermeisters am vergangenen Montag auf den Beinen. Am Donnerstag beim schwarzen Trauermarsch der grünen Protestler nach Schätzung von Augenzeugen sogar noch mehr. Und für diesen Samstag hat Mussawi eine weitere Großkundgebung angekündigt, wo er und der frühere Reformpräsident Mohammed Chatami sprechen wollen.

Chameini antwortete darauf mit unverhüllten Drohungen und der Andeutung, notfalls vor einer Verhaftung seiner beiden öffentlichen Hauptkontrahenten nicht zurückzuschrecken: „Diese Politiker, die einen gewissen Einfluss auf die Menschen haben, sollten sehr vorsichtig sein mit ihrem Benehmen, wenn sie in extremistischer Weise agieren“, sagte er und fügte hinzu: „Wenn es zu Blutvergießen und Chaos kommt, werden die Organisatoren der Proteste direkt dafür verantwortlich gemacht“ – ein Satz, den tausende von Zuhörern in der luftigen Großhalle auf dem Campus der Teheraner Universität mit den Rufen „Wir opfern unserem Führer das Blut in unseren Adern“ quittierten. „Die iranische Nation braucht jetzt Ruhe“, rief Chamenei, zu dessen Füßen das gesamte konservative Establishment der Islamischen Republik saß. In der ersten Reihe zeigte das Staatsfernsehen den umstrittenen Präsidenten Ahmadinedschad, oben von der Kanzel herab von seinem Ziehvater gepriesen als der Mann, „der meinen Überzeugungen am nächsten steht“. Neben ihm Parlamentspräsident Ali Laridschani sowie der oberste Stimmenzähler der Nation, Innenminister Sadeq Mahsouli. Einige Reihen dahinter hatte sich Kandidat Mohsen Rezai platziert. Mussawi dagegen war offenbar zu Hause geblieben – im staatlichen Fernsehen jedenfalls war er nicht zu sehen.

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